Weites wildes Land
Sträfling?« fragte sie herausfordernd. »Kommt fast hin«, lachte er. »Und wie heißen Sie?« »Iris. Da ist ja mein Vater. Er will Sie bestimmt kennen lernen.« »Das will ich meinen«, stellte Charlie freundlich fest und kippte den Brandy hinunter. »Trink aus, alter Junge, der nächste geht auf Kosten des Hauses.« Der vierschrötige Wirt kam ihnen mit ausgestreckter Hand entgegen. Er strahlte übers ganze pockennarbige, rote Gesicht. »Ah, guten Tag, die Herren. Mr. Grant kenne ich ja schon. Iris sagt, daß Sie der berühmte Mr. Conal sind. Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Er packte Logans Hand. »Ich bin Tommy Blackburn. Sind Sie einer der Burschen von der Cambridge Star?« Logan nickte. »Jetzt erinnere ich mich«, meinte Blackburn herzlich. »Sie haben doch die Kleine gerettet und sie aus der Wildnis hierher gebracht.« Logan gefiel der Mann, denn in den sogenannten besseren Kreisen wurden über ihn und Sibell immer noch schmutzige Witze gerissen. »Eigentlich habe ich sie gar nicht gerettet«, antwortete er. »Und mich selbst auch nicht. Durch Gottes Gnade sind wir an diese Küste verschlagen worden, und ich kann Ihnen sagen, daß die junge Dame nicht gerade erfreut darüber war.« Blackburns Gelächter hallte von den Deckenbalken wider. »Das kann ich mir vorstellen.« Bislang hatte Logan immer das Gefühl gehabt, sich verteidigen zu müssen, wenn die Sprache auf dieses Thema kam, doch in Gesellschaft dieser Männer konnte auch er darüber lachen. »Eine richtige kleine Hexe«, sagte er. »›Ich rühre mich nicht von der Stelle, Mr. Conal‹, sagte sie einfach zu mir. ›Sie gehen Hilfe holen!‹ Hat die feine Dame gespielt. Wenn ich jetzt auf die Karte schaue und sehe, wo wir gewesen sein müssen, werden mir heute noch die Knie weich. Wahrscheinlich würde ich immer noch dort stehen und mich mit ihr herumstreiten, wenn die Schwarzen uns nicht gefunden hätten.« »Weiß Gott, Sie haben wirklich Glück gehabt. Das ist ein Grund zum Feiern. Iris, noch mal das gleiche für die Herren.« Nachdem Iris die Brandys serviert hatte, lehnte Blackburn sich an den Tresen und senkte die Stimme. »Ich wollte schon lange mal mit Ihnen sprechen, Mr. Conal. Ich habe Schwierigkeiten mit den verdammten Gerichten.« »Was für Schwierigkeiten?« »Mein Land, wissen Sie? Ich habe eine Schafweide die Küste hinauf. Die Besitzurkunde war in Ordnung, alles ganz legal, und plötzlich kommt dieser Bursche, der die Parzelle neben mir hat, und beansprucht die Hälfte.« »Ich kenne Ihren Fall«, warf Charlie ein. »Alles war in bester Ordnung, bis Sie die Grenzsteine versetzt haben, Sie Schurke.« »Mr. Grant, so was würde ich nie tun.« »Tommy, ich selbst habe damals alles vermessen. Sie wollen uns aufs Kreuz legen, und das wissen Sie ganz genau.« Blackburn schenkte sich einen Schluck Gin ein und überlegte. »Ich sehe es so, meine Herren: Da draußen gibt es genug Land für alle, Millionen Hektar, die niemandem gehören. Wen kümmern da schon ein paar Quadratkilometer?« »Ihren Nachbarn offenbar.« »Und warum zieht er dann nicht ein paar Meilen weiter nach Norden? Leben und leben lassen.« »Weil das so nicht geht«, teilte Charlie ihm mit. »Und warum nicht?« fragte Tommy. »Versuchen Sie nicht, mir was vorzumachen.« Er wandte sich an Logan. »Charlie hier läßt immer mit sich reden, wenn es um Grenzen geht. Aber seit Sie da sind, können die Herren bei Gericht einen Laien wie ihn nicht mehr brauchen. Jetzt sind Sie der Fachmann: Sie haben den Posten und wir das Nachsehen.« Am gegenüberliegenden Ende des Raums hing eine Whiskyreklame: ein bärtiger Zwerg in kariertem Gewand, der auf einen Spiegel gemalt war. Er schien Logan zuzuzwinkern. »Nennen wir Roß und Reiter doch mal beim Namen, Mr. Logan«, meinte Blackburn leise. »Die Squatter stecken den Gerichten und den Vermessern ein paar Scheine zu und kriegen dann jeden Quadratzentimeter, den sie wollen.« »Ich lasse mich nicht kaufen«, antwortete Logan. »Ich halte mich nur an die Regeln.« Daß die Regeln zum Großteil seine eigenen waren, verschwieg er. »Nun, hier draußen kann man die Regeln so oder so auslegen, ohne daß jemandem ein Schaden entsteht. Sie werden es nicht bedauern, wenn Sie die Dinge mal von meiner Warte aus sehen.« Logan warf Charlie einen Blick zu, und als dieser die Achseln zuckte, entspannte er sich. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, dachte er. Schon seit einiger Zeit vermutete er, daß Charlie bestechlich war, nur seine
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