Weites wildes Land
wohingegen die Leute hier keine Gelegenheit zum Trinken ausließen – besonders Champagner, von dem sie bislang immer nur gelesen hatte und der ihrer Ansicht nach Gräfinnen und Schauspielerinnen vorbehalten war. Scheinbar unbeteiligt nahm sie den ersten Schluck. Einfach köstlich! Ihr Lieblingsgetränk. Wenn sie und Logan einmal reich waren, würden sie einen ganzen Keller voll Champagner haben. Sie fühlte sich sehr erwachsen und weltgewandt. Doch Ezra brachte sie jäh auf den Boden der Tatsachen zurück. »Heute abend müssen Sie Ihr bestes Kleid anziehen, meine Liebe, was natürlich nicht heißen soll, daß Sie nicht immer wunderschön sind. Aber heute abend werden wir den Tag bekannt geben.« »Welchen Tag?« Er tätschelte ihr die Wange. »Zeit, das Hochzeitskleid zu bestellen, mein Liebling.« »Was?« »Über Ostern schließen die Gerichte für zwei Wochen. Ich habe alles so geplant, daß wir am Karsamstag heiraten können.« Starr vor Schrecken leerte Sibell ihr Glas und ließ es vom Kellner nachfüllen. Auf einmal fühlte sie sich gar nicht mehr so weltgewandt; sie war nur ein junges Mädchen in den Klauen dieses fetten, alten Mannes. »Das Hochzeitsfrühstück geben wir im Palast Hotel«, sprach Ezra weiter. »Deswegen dachte ich, wir sollten heute abend dort hingehen und alles mit Mrs. Page besprechen. Ihr Gatte ist der Besitzer, und sie wird uns ein glänzendes Fest ausrichten.« Wovon redete dieser Mensch? »In den Flitterwochen brauchen wir nicht zu verreisen«, fuhr Ezra fort. »Denn mein Haus wird rechtzeitig fertig sein. Du meine Güte«, stöhnte er und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Wie wunderbar, endlich in meine eigenen vier Wände zu ziehen, nach all diesen gräßlichen Zimmern, mit denen ich vorlieb nehmen mußte.« Sibell hatte diese lächerliche Verlobung schon beinahe vergessen gehabt. In ihren Augen war sie irgendwie nicht wirklich, zudem auch höchst unwillkommen: Seit einigen Monaten war sie eben ein Bestandteil ihres Lebens, allerdings ein lästiger. War es nicht eigentlich ihre Aufgabe, den Tag der Hochzeit festzusetzen? Für wen hielten diese Leute sich eigentlich? »Ich glaube nicht, daß mir dieser Tag paßt«, verkündete sie. Ezra lief feuerrot an. »Vergeben Sie mir, meine Liebe. Welche Woche würde Ihnen denn besser gefallen?« Sibell starrte in ihr Champagnerglas und war sich sicher, daß sie ebenso rot im Gesicht war wie er. Es widerte sie regelrecht an, weiter darüber zu sprechen. »Gar kein Tag«, zischte sie. »Ich will nicht heiraten.« Ezra blieb der Mund offen stehen. Er blickte um sich, wühlte in seinen Taschen. Dann zog er mit einem Ruck seine Brille heraus und klemmte sie sich auf die Nase. »Verzeihung, habe ich Sie richtig verstanden?« »Ich sagte, ich will Sie nicht heiraten.« »Aber, Sibell«, stammelte er. »Sie sind doch mit mir verlobt. Sie müssen mich einfach heiraten. Sie müssen.« »Warum muß ich?« »Weil… bei Gott! Sibell, Sie werden mich heiraten. Offenbar begreifen Sie nicht, wen Sie vor sich haben. Ich werde nicht zulassen, daß Sie mir den Laufpaß geben. Also seien Sie nicht töricht.« Er wandte sich um, um sich zu vergewissern, daß niemand ihnen zuhört. »Ich habe bereits mit Mrs. Page vereinbart, daß ich sie heute abend aufsuche.« »Dann sagen Sie eben ab. Ich habe meine Meinung geändert.« Sie warf einen Blick auf ihren Verlobungsring und streifte ihn mit Bedauern vom Finger. Er war das einzig teure Schmuckstück, das sie jemals besessen hatte. »Hier haben Sie Ihren Ring zurück.« »Das ist ein Schlag ins Gesicht!« riet er und griff fast unter Tränen nach dem Ring. »Was soll ich den Leuten sagen?« »Einfach, daß ich meine Meinung geändert habe«, antwortete sie. »Das ist vernünftig, Ezra. Ich weiß nicht, warum Sie sich so ereifern.« »Das werden Sie schon noch herausfinden«, zischte er. »Nachdem ich mit Ihrem Onkel gesprochen habe.« »Er ist nicht mein Onkel.« »Trotzdem ist er für Ihr empörendes Betragen verantwortlich.« »Gut«, meinte sie, wobei der Champagner ihr zusätzlich Mut verlieh. »Schieben Sie ihm die Schuld in die Schuhe.«
* * *
Ezra stürmte ins Haus und verlangte, Percy und Margot zu sprechen. Sibell wurde wie eine Verbrecherin vorgeführt. Inzwischen hatte sie Kopfschmerzen und fürchtete sich vor dieser Auseinandersetzung. Alle drei fielen über sie her, und sie hatte schon Angst, man würde sie ohne Umschweife vor die Tür setzen und bei der Polizei wegen
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