Weites wildes Land
Stunden, in denen sie ziellos von Zimmer zu Zimmer schlenderte und von Logan träumte oder sich mit Dingen beschäftigte, die sie als den nutzlosen Zeitvertreib verlobter junger Damen betrachtete. Versprochen zu sein, wie alle es nannten, war eine Rolle, in die zu schlüpfen ihr nicht weiter schwer gefallen war. Sie hatte sich einfach eingeredet, daß sie tatsächlich verlobt war – nur war nicht der alte Ezra der Glückliche. Dank ihrer neuen gesellschaftlichen Stellung nörgelte Margot auch nicht mehr so viel an ihr herum, obwohl Sibell sich zu ihrem Ärger weigerte, zu verraten, was sie auf ihrer Einkaufsfahrt bestellt hatte. Glücklicherweise war Ezra ein vielbeschäftigter Mann, so daß er sie nicht allzu oft belästigte. Samstags führte er sie zum Mittagessen oder zum Pferderennen aus, nachdem sie erst den Pflichtbesuch in seinem schrecklichen Haus ableisten mußte. Außerdem begleitete ihr Verlobter sie, Margot und Percy sonntags zur Kirche. Dabei keuchte und schnaufte er die ganze Zeit und jammerte über die Hitze, obwohl es schon viel kühler geworden war. Sibell pflichtete ihm bei, daß es vernünftig sei, die Mittagssonne zu meiden – aber sie wirkte stets elegant und kühl, wodurch er, verglichen mit ihr, noch verschwitzter und aufgelöster aussah. Seine Freunde waren alt und langweilig, und ihre überfreundlichen Gattinnen wurden nicht müde, Sibell zu beteuern, welches Glück sie gehabt hatte, daß ausgerechnet Ezra Freeman Gefallen an ihr fand. Da Sibell diese Leute nicht ausstehen konnte, verhielt sie sich hochmütig, still und würdevoll. Tagsüber gelang es ihr, Haltung zu bewahren, aber nachts litt sie entsetzlich. Da sie sich vor dem Schlaf fürchtete, hielt sie sich wach und wartete aufs Morgengrauen. Dabei verstieg sie sich zu den abwegigsten Gedanken; sie beklagte die Ungerechtigkeit ihres Schicksals und schmiedete verwegene Fluchtpläne. Nur der Gedanke an Logan – sein dunkles, stattliches Aussehen, seine ebenmäßigen Züge – konnten sie beruhigen und ihr die Kraft geben, den nächsten Tag zu überstehen. »Kommen Sie, meine Liebe«, riß Ezra sie aus ihren Gedanken. Sibell stöhnte. Sie hatte sich in ihrem Liegestuhl unter dem Segeltuchdach ausgeruht und dabei vorgegeben, die unglaublich langweilige Regatta auf dem Swan River zu beobachten. Ezra eilte inzwischen geschäftig zwischen seinen Freunden hin und her und schloß Wetten ab. »Das war das letzte Rennen. Bei Gott, ist das heiß! Ihre Tante hat mir gestattet, Sie heute abend zum Dinner ins Palast Hotel auszuführen.« »Ich bin für ein Dinner nicht richtig angezogen«, widersprach sie und stand auf, um ihr Kleid glatt zu streichen und ihren Strohhut aufzusetzen. »Kümmern Sie sich nicht darum. Ich werde Sie nach Hause bringen und später wieder abholen. Heute ist ein ganz besonderer Tag.« »Warum?« »Heute abend, meine Liebe.« »Aber warum?« Mit einer unangenehmen Vorahnung sah Sibell zu, wie sich die Menschenmenge auf dem grünen Rasen allmählich zerstreute. »Das werde ich Ihnen heute abend mitteilen.« »Nein, sagen Sie's mir jetzt!« Ezra lachte schnaubend auf. »Niemand kann mich so um den Finger wickeln wie Sie. Ich habe Sie sehr gern, Sibell.« In diesem Augenblick schlenderten zwei Damen, die wie alle Zuschauerinnen der Regatta weiße Sommerkleider und gewaltige Hüte trugen, an ihnen vorbei und nickten Ezra zu. Dieser erwiderte offenbar hoch erfreut ihren Gruß. »Wissen Sie, wer das war?« fragte er Sibell. »Nein.« »Das habe ich mir gedacht«, meinte er. »Was soll ich nur mit Ihnen anfangen? Sie haben anscheinend nicht die geringste Lust, andere Menschen kennen zu lernen. Die erste Dame, die mit den gelben Rosen auf dem Hut, ist die Kusine des Gouverneurs; die andere ist ihre Gesellschafterin.« »Ach wirklich?« fragte Sibell unbeeindruckt. »Und was ist heute abend so besonders?« »Oh, du meine Güte.« Er nahm sie bei der Hand. »Kommen Sie mit mir; ich muß mich setzen. Die Sonne brennt heute wieder entsetzlich, und ich kann diese Liegestühle nicht ausstehen. Wenn ich erst einmal in einem sitze, komme ich kaum noch hoch.« Sibell lächelte. Genau deswegen hatte sie sich für einen Liegestuhl entschieden. Sie schlenderte zum Pavillon hinüber, wo Ezra eine bequemere Sitzgelegenheit fand. »Wir haben noch viel Zeit. Möchten Sie vielleicht ein Glas eisgekühlten Champagner?« »Ja, bitte.« Sibell fragte sich, was ihre Eltern wohl davon gehalten hätten. Bei den Delahuntys war Alkohol verpönt gewesen,
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