Weites wildes Land
ihnen. Die wunderschönen, dunklen Tiefen des Flusses beeindruckten Sibell, und das üppige Grün am Ufer, das sich im Wasser spiegelte, machte einen überwältigenden Eindruck auf sie. »Was für eine hübsche Landschaft«, meinte sie zu Maudie. »Der Fluß sieht so kühl und einladend aus in dieser Hitze.« »Was Sie nicht sagen«, entgegnete Maudie. Sie unterhielt sich mit einem der Männer, verschwand für einige Minuten und kehrte dann mit einem Fleischklumpen zurück. »Schauen Sie mal«, forderte sie Sibell auf und schleuderte das Fleisch in Richtung Ufer. Sofort kamen Krokodile aus dem moorigen Uferdickicht gestürzt, glitten geräuschlos ins Wasser und schnappten nach dem Fleisch. Ihre riesigen Leiber wirbelten den Fluß auf, als sie sich tobend um die Beute balgten. Sibell war entsetzt. Sie hatte zwar schon von Krokodilen gehört, aber noch nie welche gesehen, und ihre Größe erschreckte sie. Jetzt stand sie an der Reling und beobachtete gebannt, wie sich die Tiere an der Wasseroberfläche treiben ließen. Manche mußten mindestens vier Meter lang sein, und sie hatten einen Körperumfang, größer als ein Pferd. »Passen Sie auf, daß Sie nicht über Bord gehen«, lachte Maudie. Maudie verhielt sich ihr gegenüber kühl und höflich, überlegte Sibell. Doch überflüssige Nettigkeiten kamen ihr nicht über die Lippen. Sie zeigte ihr, wo sie sich waschen konnte, stand mit ihr in der Essensausgabeschlange in der Kombüse und warnte sie vor der Suppe, die ihrer Ansicht nach schon vergoren war. Sie saß mit ihr auf Deck und verscheuchte die kühneren Männer, aber sie war ziemlich wortkarg, bis ihre Neugier schließlich siegte. »Warum reisen Sie eigentlich mutterseelenallein in der Gegend herum?« »Ich bin mit meinen Eltern nach Australien gekommen, aber sie… sind gestorben. Deswegen muß ich mich nach Arbeit umsehen.« Wenn sie Mitleid von Maudie erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. »Beide Eltern tot, hey?« meinte Maudie. »Meine auch. Aber warum haben Sie sich nicht in Perth eine Stellung gesucht?« »Es gab keine«, antwortete Sibell, die nicht zugeben wollte, daß ihre Lage dort unerträglich geworden war. »Man hat mir empfohlen, mich um die Stellung bei Mrs. Hamilton zu bewerben, und hier bin ich.« »Das ist nicht zu übersehen.« Maudie lachte. Sibell ärgerte sich über diese Antwort, aber da Maudie ungewöhnlich gesprächig war, hatte sie auch einige Fragen auf dem Herzen. »Wohnen Sie auf der Black Wattle Farm?« »Ja. Bin nach meiner Hochzeit mit Cliff hingezogen.« »Wer wohnt sonst noch dort?« »Im Haupthaus? Nur Charlotte, Zack und wir. Dann gibt es noch die Farmarbeiter, ein paar Köche und einen Negerstamm.« »Schwarze?« »Ja. Die waren schließlich zuerst da.« »Oh. Und wo waren Sie vor Ihrer Hochzeit zu Hause?« »Überall und nirgendwo. Meine Mutter und mein Vater waren Viehtreiber, und wir Kinder wurden eben mitgeschleppt. Zuerst haben sie Herden durch Queensland getrieben, und dann haben Sie eine große Herde über die Landspitze hierher ins Territory gebracht und sind geblieben. Ich war schon überall«, erzählte sie, »sogar schon in Stuart im Landesinneren. Aber nachdem ich Cliff kennen gelernt habe, war es damit vorbei. Jetzt bewirtschafte ich die Farm, und ich freue mich schon darauf, endlich in einem richtigen Haus zu wohnen.« Sie lachte. »Es ist gerade rechtzeitig fertig geworden. Die erste Hütte, die Cliff und Zack gebaut haben, ist von den Termiten bis aufs letzte Brett aufgefressen worden. Jetzt haben die beiden ihre Lektion gelernt Das neue Haus besteht fast nur aus Zedernholz, und das schmeckt den Termiten offenbar nicht.« »Haben sie es selbst gebaut?« fragte Sibell. »Nein, dieses Haus nicht. Charlotte hat die Pläne gezeichnet und einen Bauunternehmer aus Palmerston kommen lassen. Es ist eines der ersten richtigen Wohnhäuser da draußen.« »Wie lange dauert es noch bis zur Farm, nachdem das Boot angekommen ist?« »Von Idle Creek Junction ungefähr einen Tag. Das Haus liegt nah an der Farmgrenze. Von dort aus erstreckt sich der Besitz nach Westen.« »Es ist bestimmt eine sehr große Farm.« »Genug, daß man davon leben kann. Ich frage mich, was Sie für Charlotte arbeiten sollen.« »Das weiß ich selbst nicht genau. Ich hoffe nur, daß ich mit der Arbeit zurechtkomme.« Zu ihrer Verlegenheit spürte Sibell, daß Maudie ihre Befürchtung teilte. »Vielleicht will sie Sie ja mit Zack verkuppeln«, schlug sie fröhlich vor. Sibell war entsetzt. »Du
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