Weites wildes Land
meine Güte, nein! Mrs. Hamilton kennt mich ja überhaupt nicht.« »Ich weiß, aber die Dame, die ihr Briefe schreibt, muß ihr erzählt haben, daß Sie in Ordnung sind und Bildung haben.« »Das ist doch lächerlich. Wie, um alles in der Welt, kommen Sie denn darauf?« »Nun… Charlotte hatte zwar nichts gegen meine Heirat mit Cliff«, antwortete Maudie, »doch ihr Ältester soll wahrscheinlich eine bessere Partie machen«, fügte sie mißmutig hinzu. »So dürfen Sie nicht reden«, meinte Sibell. »Ich finde, daß Cliff mit Ihnen großes Glück gehabt hat: Sie kennen das Land, und Sie wissen Bescheid. Ich hingegen fühle mich hier draußen wie ein Fisch auf dem Trockenen.« »Genau das habe ich Cliff auch gesagt«, erwiderte Maudie. »Ich habe ihm gesagt, daß Sie uns auf der Farm nichts nützen werden, Sie könnten ja keiner Fliege was zuleide tun. Aber er glaubt, daß Charlotte einen Plan hat, und Zack ist auch schon mißtrauisch.« »Das kann er sich sparen«, entgegnete Sibell. »Ich stehe nicht zur Verfügung. Meiner Meinung nach ist das eine ganz schöne Unverfrorenheit.« »Nehmen Sie sich's nicht so zu Herzen. An unserer Stelle würden Sie sich auch Ihre Gedanken machen. Sie würde ihn gern verheiratet sehen, und Frauen sind hier Mangelware. Wer war denn übrigens die Frau, die sich in Palmerston von Ihnen verabschiedet hat?« Sibell, der Maudies Bemerkungen immer noch im Magen lagen, antwortete recht barsch: »Lorelei Rourke, eine Dame, die ich auf dem Schiff kennen gelernt habe.« »Dame? Für mich sah sie eher aus wie ein Flittchen.« Maudie zuckte die Achseln, und Sibell, die sich wieder unbehaglich fühlte, trat an die Reling und sah zu, wie das Schiff durch das samtige Wasser glitt und auf die nächste Flußbiegung zusteuerte. Warum konnten die Leute sie denn nicht in Ruhe lassen? Sie suchte doch nur Arbeit und hatte ganz gewiß nicht vor, einen von diesen Hinterwäldlern zu heiraten. Sie fragte sich, ob sie nicht umkehren sollte, anstatt weiterzufahren und sich demütigen zu lassen. Nein, wenn sie auf der Black Wattle Farm blieb, wurde sie Mrs. Hamilton und Zachary unmißverständlich klarmachen, daß sie sich nicht mit Heiratsgedanken trug, nicht im mindesten. Sie dachte an Logan und war auch auf ihn wütend. Zur Hölle mit ihnen allen! Irgendwie würde sie selbst ihren Weg finden. Sie mußte endlich aufhören, sich auf andere Menschen zu verlassen. Solange sie allerdings nur zwanzig Pfund in der Tasche hatte, ließ sich das nicht so leicht bewerkstelligen. Und dann fiel ihr die Herkunft des Geldes wieder ein. Hatte Lloyds die Versicherungssumme an Percy ausbezahlt? Und wieviel Geld war es gewesen? Sie würde selbst an die Reederei schreiben und das herausfinden. Als sich das Schiff Idle Creek näherte, waren die beiden Frauen zum Aussteigen bereit. Um sie scharten sich die Goldgräber. »Willst du nicht bei mir bleiben, Blondchen!« rief einer der Männer Sibell zu. »Kannst du vergessen, Kumpel«, gab Maudie mit einem Grinsen zurück. Hilfreiche Hände hoben sie auf einen kleinen Landungssteg und dann ans Ufer, wo sich Abfälle häuften: Flaschen, Dosen und verrottende Packkisten lagen herum, und in der Luft schwirrten Fliegen. Sibell war entsetzt. »Hier gibt es ja nichts! Keine Stadt, überhaupt nichts!« Maudie kümmerte das gar nicht. »Nein, das hier ist nur ein Landeplatz für die Schiffe. In der Trockenzeit ist mehr los, da die Schiffe oft nicht weiterkommen. Aber niemand bleibt freiwillig hier. Die meisten gehen den restlichen Weg zu den Goldfeldern zu Fuß; das nächste liegt etwa achtzig Meilen entfernt.« Als der Dampfer abfuhr, blieben sie allein an diesem wenig einladenden Ort zurück, und Sibell spürte, wie sich die Stille bedrohlich über sie legte. »Was nun?« fragte sie. »Wir warten auf die Kutsche. Und setzen Sie Ihren Hut auf, sonst bekommen sie einen Sonnenstich.« Der breitkrempige Filzhut gehörte ebenfalls zu Sibells Buschausrüstung. »Sollten wir nicht auch losgehen?« fragte sie, aber Maudie lachte. »Nur wenn wir lebensmüde sind. Wir haben kein Wasser. Ohne Wasser geht man hier nirgends hin, sonst bringt einen die Hitze in kürzester Zeit um. Wir warten einfach hier am Fluß. Am liebsten würde ich schwimmen gehen, aber um diese Jahreszeit gibt es zu viele Krokodile.« Sibell erschauderte. Sie fragte sich, was geschehen würde, falls niemand sie abholen kam. Sie fragte sich unzählige Dinge, aber da sie auf ihre vielen Fragen offenbar nie eine Antwort fand, gab sie
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