Weizenwampe
(Salzsäure) zerfällt Gluten in verschiedene Polypeptide. Die wichtigsten Polypeptide wurden daraufhin isoliert und Laborratten verabreicht. Interessanterweise sind die Polypeptide in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, die verhindert, dass Blut ins Gehirn gelangt. Diese Schranke hat ihren Grund, denn das Gehirn reagiert auf viele Substanzen im Blut hochempfindlich. Manche davon können auch unerwünschte Wirkungen hervorrufen, wenn sie in die Amygdala (Mandelkern), den Hippocampus, die Großhirnrinde oder andere Hirnbereiche gelangen. Nach ihrem Eintritt ins Gehirn docken Weizenpolypeptide an den Morphinrezeptoren des Gehirns an, denselben Rezeptoren, an denen auch Opiate ansetzen.
Zioudrou und ihre Kollegen bezeichneten diese Polypeptide deshalb als »Exorphine« – eine Kurzformel für exogene, also außerhalb des Körpers entstandene, morphinartige Substanzen – und grenzten sie so von den Endorphinen ab (morphinartigen Substanzen, die der Körper selbst produziert und die zum Beispiel Läufern durch ein Hochgefühl über Schmerzen hinweghelfen). Das dominante Polypeptid, das die Blut-Hirn-Schranke passierte, nannten sie Gluteomorphin , beschrieben also einen morphinähnlichen Bestandteil des Glutens (was in meinen Augen doch stark nach einer Morphinspritze klingt). Das Team um Zioudrou stellte die These auf, dass Exorphine die aktiven Faktoren des Weizens sein könnten, die in Philadelphia und anderswo für die Verschlimmerung schizophrener Symptome verantwortlich gewesen seien.
Noch interessanter ist, dass die Verabreichung des Arzneimittels Naloxon die Wirkung der Polypeptide aus Gluten im Gehirn blockiert.
Nehmen wir einmal an, ich wäre heroinsüchtig. Nach einem fehlgeschlagenen Drogendeal gerate ich in eine Messerstecherei und komme verletzt in die nächste Notaufnahme. Vollgepumpt mit Heroin trete ich um mich und schreie das Personal an, das mir zu helfen versucht. Also binden diese wohlmeinenden Menschen mich fest und spritzen mir Naloxon, worauf ich augenblicklich nicht mehr high bin. Durch chemische Magie stellt Naloxon ein sofortiges Gegengift zu Heroin oder anderen Opiaten wie Morphin oder Oxycodon dar.
Bei Versuchstieren blockiert Naloxon die Bindung von Weizenexorphinen an die Morphinrezeptoren der Gehirnzellen. Richtig: Der Opiatblocker Naloxon verhindert, dass die Exorphine aus dem Weizen im Gehirn eine Bindung eingehen. Dasselbe Medikament, das einen Heroinjunkie aus seinem Rausch reißt, blockiert auch die Wirkungen der Weizenexorphine.
Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an 32 Schizophrenen mit aktiven auditiven Halluzinationen konnte Naloxon die Halluzinationen mindern. 12 Leider wurde der logische nächste Schritt – die Verabreichung von Naloxon an Schizophrene, die sich »normal« ernähren und damit auch Weizen verzehren, im Vergleich zu Schizophrenen, die eine weizenfreie Ernährung erhalten – noch nicht weiter verfolgt. (Klinische Studien, die zu Schlüssen führen könnten, die keinen Arzneimitteleinsatz befürworten, sind eher selten. Wenn Schizophrene, die Weizen essen, im Vergleich zur weizenfreien Kontrollgruppe von Naloxon profitieren, würde man nämlich eher den Weizen absetzen, anstatt das Medikament zu verabreichen.)
Das alte Schizophrenie-Experiment beweist jedoch, dass Exorphine in der Lage sind, das Gehirn auf bestimmte Weise zu beeinflussen. Wer nicht schizophren ist, hört nach dem ersten Brötchen natürlich keine Stimmen, aber auch bei uns gelangen die entsprechenden Bestandteile des Weizens ins Gehirn. Zugleich zeigt sich hier die einzigartige Wirkung von Weizen, weil glutenfreie Getreidesorten wie Hirse oder Leinsamen keine Exorphine erzeugen und auch keine Sucht- und Entzugserscheinungen hervorrufen, weder bei Menschen mit einem normalen Gehirn noch bei Kranken.
Solange wir also Weizen verzehren, erzeugt die Verdauung morphinartige Substanzen, die sich an die Opiatrezeptoren im Gehirn anheften. Die Belohnung ist eine leichte Euphorie. Wenn diese Wirkung blockiert oder keine Nahrung verzehrt wird, deren Verdauung Exorphine hervorbringt, kommt es bei manchen Menschen zu einem ausgesprochen unangenehmen Entzug.
Aber was passiert, wenn man normalen (also nicht-schizophrenen) Menschen Opiathemmer verabreicht? In einer Studie des psychiatrischen Instituts der Universität South Carolina verzehrten die Teilnehmer (die Weizen essen durften) nach der Gabe von Naloxon mittags 33 Prozent und abends 23 Prozent weniger Kalorien
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