Weizenwampe
erstaunlich breit und reicht von Typ-1-Diabetes (der meist schon in der Kindheit beginnt) über Demenz bis hin zu Sklerodermie (Gruppe von Erkrankungen, die mit einer Bindegewebserhärtung der Haut einhergehen). Woran das liegt, ist bisher weitgehend unklar. Man weiß noch nicht, ob durch vorsorglichen Glutenverzicht aufgrund einer vermutlichen Glutensensitivität weniger oder gar keine Kinder mehr an Diabetes erkranken würden – was sicher eine verlockende Aussicht wäre. Denn auch bei diesen Erkrankungen fallen die Antikörpertests auf die verschiedenen Zöliakiemarker positiv aus, und sie entstehen durch Immun- und Entzündungsreaktionen, wenn eine genetische Veranlagung besteht (Vorliegen der Marker HLA DQ2 und HLA DQ8) und Weizengluten verzehrt wird.
Besonders irritierend an Erkrankungen, die mit Zöliakie in Verbindung gebracht werden, ist der Umstand, dass die Darmsymptomatik tatsächlich fehlen kann. Der Patient kann also an neurologischen Problemen wie Gleichgewichtsstörungen und Demenz leiden, doch die charakteristischen Krämpfe, die Diarrhö und der Gewichtsverlust bleiben ihm erspart. Ohne die auffälligen Darmprobleme wird die korrekte Diagnose dann nur selten gestellt.
Ohne Darmbeteiligung wäre es daher vermutlich zutreffender, von einer immunologischen Glutenintoleranz zu sprechen. Weil diese glutenabhängigen Erkrankungen ohne Darmbeteiligung jedoch erstmals durch das gemeinsame Merkmal derselben HLA- und Immunmarker mit Zöliakie des Darms auffielen, spricht man offiziell von »latenter« Zöliakie oder von Zöliakie ohne Darmbeteiligung. Ich gehe davon aus, dass die zunehmende Aufmerksamkeit der Fachwelt für diese Zusammenhänge dazu führen wird, dass wir irgendwann in erster Linie von immunologischer Glutenintoleranz oder Autoimmun-Glutenintoleranz sprechen und die Zöliakie nur noch als eines der diversen Erscheinungsbilder ansehen werden.
Zu den Erkrankungen, die mit Zöliakie – beziehungsweise mit der immunologischen Glutenintoleranz – in Verbindung stehen, zählen:
Dermatitis herpetiformis. Dieser charakteristische Ausschlag zählt zu den eher häufigen Ausprägungen von Zöliakie oder immunologischer Glutenintoleranz. Dermatitis herpetiformis äußert sich als juckendes, erhabenes Exanthem (Ausschlag), meist an Ellenbogen, Knien oder Rücken. Bei Glutenverzicht verschwindet der Ausschlag wieder. 27
Lebererkrankungen. Im Zusammenhang mit Zöliakie können diverse Lebererkrankungen auftreten, von leicht auffälligen Leberwerten über chronische Hepatitis bis hin zu primären biliären Cholangitis (PBC) und Gallenkrebs. 28 Wie andere Formen immuninduzierter Glutenintoleranz fehlen bei Leberbeteiligung häufig die Darmsymptome, obwohl die Leber zum Verdauungstrakt gehört.
Autoimmunerkrankungen. Zöliakiepatienten leiden gehäuft an Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem verschiedene Organe angreift. Sie erkranken vermehrt an rheumatoider Arthritis, Hashimoto-Thyreoiditis, Bindegewebserkrankungen wie Lupus, Asthma, entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sowie anderen entzündlichen und immunologischen Reaktionen. Glutenverzicht kann die schmerzhafte und entstellende rheumatoide Arthritis, welche die Gelenke attackiert, nachweislich lindern und gelegentlich sogar ganz verschwinden lassen. 29 Das Risiko für immunologisch bedingte Darmkrankheiten wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn ist gegenüber Menschen ohne Zöliakie um das 86-fache erhöht. 30
Insulinpflichtiger Diabetes. Kinder mit Typ-1-Diabetes haben ungewöhnlich häufig positive Antikörper auf Zöliakie und ein bis zu 20-fach höheres Risiko, auch daran zu erkranken. 31 Ob das Weizengluten den Diabetes auslöst , ist unklar, doch es gibt Vermutungen, dass die Krankheit bei einem bestimmten Teil der Typ-1-Diabetiker erst nach Glutenexposition in Erscheinung tritt. 32
Neurologische Erkrankungen. Mit den neurologischen Problemen, die mit Glutenkontakt in Verbindung gebracht werden, beschäftigen wir uns später noch näher. Erstaunlicherweise sind bei 50 Prozent der Menschen, die von ansonsten unerklärlichen Symptomen wie Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen (Ataxie) oder Gefühls- und Kontrollverlusten in den Beinen (periphere Neuropathie) geplagt werden, Zöliakiemarker nachweisbar. 33 Besonders erschreckend ist die lebensgefährliche, glutenbedingte Enzephalopathie, die sich durch Hirnschäden mit Kopfschmerzen, Koordinationsprobleme und Demenz äußert. Die Schäden
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