Weizenwampe
bei denen Antikörper gefunden wurden, obwohl sie symptomfrei waren, dass es ihnen mit einer glutenfreien Ernährung besser ginge.
Bei Erwachsenen waren ähnliche Veränderungen zu beobachten. Auch hier gingen die Klagen über »klassische« Symptome wie Durchfälle und Bauchschmerzen zurück, und es gab mehr Diagnosen aufgrund von Anämie, mehr Symptome wie allergische Hautausschläge und Dermatitis herpetiformis sowie mehr symptomfreie Betroffene. 12
Die Fachwelt ist sich uneins, warum die Zöliakie sich verändert haben könnte oder warum sie auf dem Vormarsch ist. Die beliebteste Theorie lautet: weil Mütter wieder mehr stillen. (Ja, da musste auch ich lachen.)
Ein großer Teil der veränderten Ausprägung der Zöliakie lässt sich sicher der früheren Diagnose zuschreiben, die dank leicht erhältlicher Bluttests möglich wird. Zugleich scheint sich aber auch die Krankheit selbst zu wandeln. Könnte dies an den Veränderungen im Weizen liegen? Auch wenn der Entwickler des Zwergweizens, Dr. Norman Borlaug, sich im Grabe umdrehen dürfte, gibt es doch Daten, die belegen, dass sich in den letzten 50 Jahren im Weizen selbst wirklich einiges geändert hat.
Anhand einer faszinierenden Studie der Mayo Clinic können wir die Antwort auf diese Frage dank einer »Zeitmaschine« beantworten. Zwischen 1948 und 1954 wurden für eine Streptokokkenstudie 9000 männlichen Rekruten der Warren Air Force Base (WAFB) in Wyoming Blutproben entnommen und eingefroren. Nachdem geklärt war, dass die Proben trotz der langen Gefrierzeit zuverlässig waren, testete man sie nachträglich auf Zöliakiemarker (Transglutaminase- und Endomysiumantikörper) und stellte die Ergebnisse denen aus zwei modernen Vergleichsgruppen gegenüber. Die eine aktuelle Kontrollgruppe bestand aus 5500 Männern aus den Geburtsjahrgängen der damaligen Rekruten (mittleres Alter 70 Jahre), und die Proben wurden ab 2006 abgenommen. Die zweite Kontrollgruppe umfasste 7200 Männer, deren mittleres Alter von 37 Jahren annähernd dem damaligen Alter der Air Force Rekruten entsprach. 13
Atypische Zöliakieantikörper wurden bei 0,2 Prozent der WAFB-Rekruten, aber bei 0,8 Prozent der Männer aus denselben Geburtsjahrgängen und bei 0,9 Prozent der heutigen Männer dieses Alters ermittelt. Das lässt darauf schließen, dass Zöliakie sich seit 1948 allein durch das Altern vervierfacht hat, aber zugleich auch viermal so oft bei heutigen jüngeren Männern vorkommt. (Bei Frauen ist die Fallzahl wahrscheinlich noch höher, da Frauen insgesamt häufiger betroffen sind, doch alle Teilnehmer der damaligen Studie waren männlich.) Rekruten mit positiven Zöliakiemarkern hatten in den 50 Jahren seit der Probeentnahme zudem ein vierfach höheres Sterberisiko, meist infolge von Krebs.
Ich fragte Dr. Joseph Murrey, den Leiter der Studie, ob er diesen deutlichen Anstieg an Zöliakiefällen erwartet hätte, und er antwortete: »Nein. Meine Ausgangsthese war, dass es Zöliakie schon immer gab, wir sie aber nur nicht bemerkt haben. Das ist nur teilweise richtig, denn die Daten verrieten mir, dass sie tatsächlich auf dem Vormarsch ist. Andere Studien, die nachweisen, dass Zöliakie erstmals bei älteren Patienten auftritt, stützen die Vermutung, dass es hier um etwas geht, das Menschen jeden Alters beeinträchtigt, nicht nur Säuglinge und Kleinkinder.«
Ein finnisches Team führte im Rahmen eines breiten Forschungsvorhabens zu langfristigen, chronischen Gesundheitsschäden eine ähnliche Studie durch. Zwischen 1978 und 1980 gaben rund 7200 Männer und Frauen im Alter über 30 Blutproben ab, die auf Zöliakie getestet werden sollten. In den Jahren 2000 und 2001, also 20 Jahre später, wurde dann 6700 weiteren Finnen über 30 Jahren Blut abgenommen. Beim Vergleich der Transglutaminase- und Endymysiumantikörper beider Gruppen zeigte sich, dass deren Häufigkeit von 1,05 Prozent (bei den früheren Teilnehmern) auf 1,99 Prozent angestiegen war, was nahezu eine Verdoppelung der Fallzahlen bedeutet. 14
Es ist also gut belegt, dass der offenkundige Anstieg der Zöliakiekranken (oder zumindest der Immunmarker für Gluten) nicht nur auf besseren Testverfahren beruht. Vielmehr hat sich die Krankheit selbst in den letzten 50 Jahren vervierfacht und allein in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Schlimmer noch: Dem Anstieg bei Zöliakie entspricht eine Zunahme bei Typ-1-Diabetes, Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose und Morbus Crohn sowie Allergien. 15
Antikörpertests
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