Welch langen Weg die Toten gehen
begegnet.«
Sie drehte den Schlüssel im Schloss um und öffnete die Tür nur weit genug, um ins Haus zu schlüpfen.
»Es tut mir leid«, sagte er, »wenn ich Sie nach Ihrem traurigen Verlust störe, aber vielleicht könnten wir miteinander reden …«
Nicht ohne Schwierigkeit – ihr Kiefer schwoll sichtbar an – erwiderte sie: »Mein trauriger Verlust? Sie meinen mein Haus und mein Einkommen? Das ist mein verdammt noch mal einziger trauriger Verlust. Aber damit wird der Dreckskerl nicht durchkommen, das können Sie mir glauben! Und jetzt verpissen Sie sich!«
Sie knallte ihm die Tür vor der Nase zu.
Wo ist nur mein alter Pascoe-Charme geblieben?, fragte er sich.
Er wandte sich ab, blieb dann stehen und hob die beiden Papierfetzen auf, eine am Computer bearbeitete Fotografie, die auf ordinärem Druckerpapier ausgedruckt worden war.
Er legte die Hälften zusammen.
Das Bild zeigte ein zerwühltes Bett, an der einen Seite eine Frau in Unterwäsche, die mit ihrem BH kämpfte, auf der anderen einen Mann, der anscheinend Probleme damit hatte, den Reißverschluss seiner Hose über den halb erigierten Penis zu ziehen, beide starrten mit aufgerissenen Augen in die Kamera, als wäre sie (was unter den gegebenen Umständen vermutlich in der Tat zutraf) das Letzte auf Erden, was sie jetzt sehen wollten.
Die Frau war Sue-Lynn, der Mann war Dr. Tom Lockridge.
Und Pascoe musste nur einen kleinen Teil seines detektivischen Spürsinns bemühen, um sich zusammenzureimen, dass es wahrscheinlich Mrs. Tom Lockridge gewesen war, die im BMW davongebraust war.
Am unteren Rand des Fotos waren Datum und Uhrzeit angegeben.
Dieselbe Nacht, und nicht lange vor Pal Macivers Selbstmord.
Er kehrte zu seinem Wagen zurück, setzte sich und ließ sich die Situation durch den Kopf gehen.
Bislang, entschied er, hatte er nichts weiter als eine Mischung aus Zweifel und Gemauschel, voll Schall und Bombast, aber ohne Sinn, um daraus einen zusammenhängenden Bericht zu verfassen.
Was jetzt?
Während er versuchte, diese wichtige Entscheidung zu treffen, könnte er sich ja den Rest der Kassette anhören, von der Dalziel meinte, sie sei wichtig, um … was zu verstehen?
Er drückte den »Start«-Knopf.
12
Kay (2)
N
ach Albas Tod gab es jene, die von »Trost« und »Erlösung« sprechen wollten, aber ich reagierte darauf so heftig, dass ihnen ihre banalen Sätze regelrecht im Hals stecken blieben.
Nur Tony verstand es. »Das Leben ist scheiße«, sagte er. »Du musst stark sein. Es wird nicht besser werden. Aber du wirst stärker.«
Ich weiß nicht, was ich ohne Tony getan hätte – wie so oft in meinem Leben.
Im College waren sie freundlich und verständnisvoll, aber ich hatte keine Kraft mehr und ließ das Studium sausen. Ich brauchte Arbeit, also nahm ich den einfachen Weg und bewarb mich für eine Vollzeitstelle in der A-P-Kantine. Damals ging ich immer den einfachsten Weg. An vieles in der Zeit erinnere ich mich nicht mehr, aber ich glaube, ich war eine so miserable Bedienung, dass sich viele durch mich vom Essen abschrecken ließen. Wahrscheinlich stand ich kurz davor, gefeuert zu werden. Wieder war es Tony, der mich rettete. Eines Tages kam eine Frau von der Personalabteilung und sagte mir, ich würde ab dem nächsten Tag in Tonys Büro arbeiten. Ich fragte nicht, als was. Ich hatte keine Einwände, ich tauchte auf, setzte mich und machte, worum man mich bat. So verbrachte ich die folgenden acht, neun, zehn Monate – indem ich einfach das tat, was die Büroleiterin mir auftrug: am Computer tippen, Akten einordnen, Kaffee kochen – sie musste mich nur darum bitten.
Langsam kam ich aus meiner harten Kummerschale heraus. Ganz langsam. Irgendwann im Lauf dieser Zeit wurde mir bewusst, dass um mich herum wichtige Dinge vorgingen – große Umstrukturierungen, Krisensitzungen, überall Mitarbeiter mit besorgten Mienen –, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, Interesse oder gar Verständnis aufzubringen. Vielleicht wurde meine Gleichgültigkeit mit Loyalität und Verlässlichkeit verwechselt, jedenfalls sprach mich Tonys persönliche Assistentin an, ob ich nicht für sie als Mädchen für alles arbeiten wollte. Sie war gut, so gut, dass sie von einem Headhunter abgeworben wurde. Neun Monate hatte ich für sie gearbeitet, als sie sagte, dass sie gehen würde. Ich erwartete, dass die Stelle ausgeschrieben würde, und überlegte sogar, nicht sehr ernsthaft, ob ich es wagen konnte, mich dafür zu bewerben. Dann kam
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