Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
ihre Idee gewesen, ihr Vater war ganz versessen darauf. Ich selbst hätte nie gewollt, dass meine Kinder in diesen prägenden Jahren nicht zu Hause waren, aber in Cressidas Fall konnte ich nichts dagegen haben. Nachdem Pal junior die meiste Zeit nicht zu Hause war und sich rumtrieb, wie es Jungs in diesem Alter machen, bedeutete es für mich, dass mir viel Zeit für Helen blieb. Und ich war noch naiv genug, um jedes Mal, wenn Cressida in den Ferien nach Hause kam, zu glauben, dass sie ein wenig erwachsener geworden wäre und ihre kleinkarierten Ressentiments hinter sich ließe.
    Eine Weile lang jedenfalls glaubte ich das bei ihrem Bruder. Er war in der Abschlussklasse, und es hatte einige Reibereien zwischen ihm und seinem Vater wegen seiner Fächerwahl gegeben. Pal senior war in jungen Jahren wohl so was wie ein Naturbursche gewesen, Bergsteigen, auf die Jagd gehen, das war so seine Art von Zeitvertreib. Später hatte er diesen Tatendrang in die Firma fließen lassen, weshalb es ihm auch so schwer fiel, davon loszulassen. Pal junior hatte sich nie für diese Dinge interessiert, nun verkündete er unverblümt, dass er auf keinen Fall eine Geschäftskarriere anstrebe, sondern auf die Universität gehen und Kunstgeschichte studieren wolle. Ich wage gar nicht daran zu denken, zu welchem Bruch es gekommen wäre, wenn es das Familienunternehmen noch gegeben hätte. Doch auch so war sein Vater ziemlich angefressen, aber ich legte für den Jungen ein gutes Wort ein, agierte als Vermittlerin und hoffte wohl, dass er dadurch selbst einsah, welches Arschloch er mir gegenüber in den zurückliegenden Jahren gewesen war. Jedenfalls benahm er sich nicht mehr so ruppig. An manchen Tagen war er sogar richtiggehend aufmerksam. Und allmählich beschlich mich das Gefühl, dass er sich etwas zu fürsorglich benahm. Ständig schien er um mich zu sein, brachte mir Drinks, kümmerte sich darum, dass mir nichts fehlte. Saß ich auf dem Sofa, lümmelte er sich neben mich. Und, was mich noch mehr beunruhigte, wenn ich im Garten lag, um mich im Bikini zu sonnen, tauchte er ebenfalls auf. Oder wenn ich duschte und dann, nur in ein Handtuch gehüllt, aus dem Badezimmer trat, schlenderte er ebenfalls wie zufällig vorbei. Mit der Zeit hatte ich das Gefühl, dass er mir nachstellte. Es war, kam ich zu dem Schluss, nur seine neue Methode, mich kleinzukriegen. Der Dreckskerl wusste, dass ich mich kaum beschweren konnte, wenn er es mit der Aufmerksamkeit übertrieb, schließlich hatte ich lange genug beklagt, dass er mir keine Beachtung schenkte!
    Aber vielleicht hätte ich es offen ansprechen sollen statt nur darauf zu achten, ihm nicht in die Quere zu kommen … Vielleicht fasste er es als Ermutigung auf, dass ich mich nicht in aller Offenheit beschwerte.
    Ich bin hier sehr nachsichtig, obwohl mir nicht danach ist.
    Es war gegen Ende der Abschlussklasse, die Prüfungen standen an. Eines Nachmittags hatte ich das Haus für mich allein. Mein Mann war in der Firma – er bestand noch immer darauf, sich dort blicken zu lassen, obwohl jedem klar war, dass ihm seine so genannte beratende Funktion nur eingeräumt wurde, damit er das Gesicht wahren konnte. Cressida war im Internat, Helen war auf der Geburtstagsparty einer Freundin, und Pal junior, der am Morgen seine letzte Prüfung schrieb, hatte angekündigt, dass er mit Freunden den ganzen Tag feiern würde. Ich nutzte die Gelegenheit, um im Garten zu arbeiten. Ich schätze die Gartenarbeit sehr, wurde darin aber von meinem Mann nicht unterstützt. Er hatte jemanden angestellt, der zwei- bis dreimal in der Woche kam, und wollte wie alle echten Yorkshire-Männer nicht einsehen, warum ich etwas tun sollte, wofür er jemanden bezahlte. Es war einer der Tage, an denen der Gärtner nicht da war, ich konnte also einige Beete in Ordnung bringen, die mich bereits sein längerem gestört hatten.
    Es war seltsam. Hin und wieder hatte ich das Gefühl, dass ich beobachtet wurde, doch wenn ich aufblickte, war niemand zu sehen. Nach einigen Stunden war ich durch die Anstrengung gut ins Schwitzen gekommen, mein Rücken schmerzte, also ging ich ins Haus und nahm eine Dusche. Es war himmlisch, unter dem heißen Wasserstrahl zu stehen, sich den Schweiß von der Haut waschen zu lassen und zu spüren, wie aus den Muskeln die Schmerzen wichen. Ich weiß nicht, wie lange ich so gestanden, den Kopf nach hinten gelegt und die Augen geschlossen hatte.
    Und als ich schließlich die Augen öffnete, sah ich durch das

Weitere Kostenlose Bücher