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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Tage, um nach Hartford zu kommen, und ich wollte, dass Helen ihren Spaß hatte und so viel wie möglich von meinem Heimatland sah. Deswegen hatte die Polizei auch so lange gebraucht, bis sie uns fand.
    Ich wünschte mir, ich wäre hier gewesen. Langfristig gesehen hätte es wohl keinen großen Unterschied gemacht, aber ich bin mir sicher, dass er es nicht getan hätte, wenn Helen und ich im Haus gewesen wären. Und ich wünschte mir, ich wäre schneller zurückgekommen. Pal junior und Cress werden mir immer die Schuld zuschreiben. Es hätte verbitterte Worte gegeben, daran zweifle ich nicht, aber Worte sind nur Schwingungen der Luft. Sie können so verbittert sein, wie sie wollen, sie hinterlassen keine Spuren. Mein spätes Eintreffen allerdings verschaffte ihnen Zeit zum Handeln. Sie wechselten die Schlösser aus, sperrten mich aus meinem Zuhause aus, weil es nun ihr Haus war.
    Und damit schlugen sie einen Weg ein, von dem es nur schwer ein Zurück gibt.
    Wie gesagt, ich weiß nicht, warum sich mein Mann umgebracht hat. Vielleicht wusste er es auch nicht. Vielleicht hat er deshalb angefangen, einen Abschiedsbrief zu schreiben, und ihn dann verbrannt. Denn wenn er in der Lage gewesen wäre, die Finsternis in sich zu benennen, hätte er sie in den Griff bekommen können.
    Vielleicht war es auch Pal juniors Brief, den er verbrannt hat. Vielleicht. Auf jeden Fall zeigen Pals Verhalten und das, was er sagt, dass etwas sein Gewissen belastet und er seine Schuldgefühle auf mir abladen möchte. Andy, ich wünschte, du könntest ihm klar machen, dass es den Aufwand nicht lohnt. Ich fühle mich auch ohne sein Zutun schon schuldig genug. So sehr ich es auch möchte, aber ich kann nicht die Hand aufs Herz legen und schwören, dass Pals Selbstmord nichts mit mir zu tun hat. Es hat mit uns allen zu tun, keiner von uns konnte ihm das geben, was ihn davon abgehalten hätte. Aber bin einzig und ausschließlich ich allein daran schuld? Ich glaube nicht. Ich kann es nicht glauben. Dass auf seinem Schreibtisch der Gedichtband von Emily Dickinson aufgeschlagen war, das Buch, das ich ihm als Zeichen meiner Liebe geschenkt habe, könnte als eine Art Anklage aufgefasst werden. Ich bin mir sicher, die Kinder werden es so auffassen. Und in gewissen Sinn haben sie damit Recht. Ich hab ihm davon erzählt, dass ich die Gedichte als eine Art
Sortes
benutzt habe. Vielleicht ist er meinem Beispiel gefolgt und so auf 1062 gestoßen …
Streichelt’ zerstreut den Abzugsring und ließ das Leben stehn
 … Hat ihn das aus dem Gleichgewicht gebracht? Vielleicht. Aber wenn man so weit ist, müssen einem auch der helle Sonnenschein und die im Wind tanzenden Narzissen wie eine Botschaft vorkommen, die einem sagt, dass es Zeit ist zu gehen.
    Das jedenfalls rede ich mir ein. Ich habe meinen Mann geliebt. Gut, vielleicht mehr in seiner Eigenschaft als Helens Vater als in seiner Eigenschaft als Palinurus Maciver. Aber das hat ihn für mich nur umso kostbarer gemacht. Geschlechtliche Liebe ist egoistisch. Sie kann großes Vergnügen bereiten, aber auch Anlass sein für tiefen Schmerz, dem man einem anderen zufügt, manchmal sorglos, manchmal in böswilliger Absicht. Ich habe Pal durch Helen geliebt. Ich hätte dem einen nie wehtun können, ohne nicht auch dem anderen wehzutun. Wenn ich jetzt kühl und gefasst erscheine, dann nicht, weil ich keinen Schmerz empfinde. Sondern weil alle Stärke, die ich noch habe, nur auf eines gerichtet ist.
    Helen zu schützen und ihr in dieser schmerzhaften Zeit beizustehen.
    Ich kann Pal junior für seine Reaktion nicht verurteilen. Wenn man seinen Vater so findet, muss das unglaublich schrecklich sein. So schlimm er sich auch in der Vergangenheit benommen hat, sein jetziges Verhalten ist vollkommen verständlich. Aber es muss aufhören. Nicht meinetwegen, ich bin stark genug, um es auszuhalten. Aber seinetwegen, wegen Cressida und vor allem wegen Helen.
    Sie hat ihr Leben noch vor sich. Und mit mir an ihrer Seite glaube ich, dass es ein gutes Leben sein kann, das Leben, das ihr Vater sich für sie gewünscht hat. Auf keinen Fall darf zugelassen werden, dass hier etwas dazwischenkommt.
    Das bin ich meinem Ehemann schuldig.
    Das bin ich mir selbst schuldig.
     
    Andy, tut mir leid, du hast mich um eine kurze Stellungnahme gebeten, und jetzt habe ich dir mein ganzes Leben erzählt. Wenn ich erst einmal anfange … na ja, wahrscheinlich wird dir das auch nicht viel weiterhelfen, aber es hat gut getan, mir alles von der Seele

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