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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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verkündete, dass er in den Ferien, bevor er nach Cambridge ging, mit einigen Freunden eine Art moderne Version der Großen Tour unternehmen wollte. Sein Vater wetterte gegen die Kosten, aber ich warf ein, dass dies in Anbetracht seines angehenden Studiums doch eine nützliche Vorbereitung sein könnte.
    Er verschwand also, Cressida verbrachte die Ferien bei einer Schulfreundin, und ich hatte einen wunderbaren Sommer mit Helen.
    Die nächsten eineinhalb Jahre wurde alles ein wenig einfacher. Pal junior war in Cambridge, Cressida absolvierte die Abschlussklasse, und die beiden ließen sich immer seltener im Moscow House blicken. Aber wenn sie da waren, führten sie ihren skrupellosen Krieg gegen mich fort. Ihre Vorgehensweise hatte sich geändert. Keine böswilligen Streiche mehr. Im Beisein ihres Vaters gaben sie sich reserviert und höflich. In seiner Abwesenheit behandelten sie mich als ignorante Ausländerin, die weder Bildung noch Kultur besaß, mit der man nur mit ordinären Ausdrücken reden konnte und die eine gesetzeswidrige Leidenschaft für Pal junior hegte.
    Aber selbst an Beleidigungen kann man sich gewöhnen, wenn man sie oft genug hört. Ich ließ alles an mir abperlen, wobei mir, wie gesagt, das Wissen half, dass ich es nie lange ertragen musste.
    Dann kam das letzte Weihnachten. Sie waren so schlimm wie noch nie. Ihr Vater steckte in einer tiefen Depression über das vermeintliche Missmanagement bei Ash-Mac, was meiner Ansicht nach nichts anderes war als seine starrköpfige Weigerung, endlich anzuerkennen, dass er die Firma verkauft hatte und sich damit abfinden sollte. Einen Teil seiner Aversionen schien er auf mich umzuleiten, und die Kinder, die sehr gut spürten, dass er nicht mehr so wie früher hinter mir stand, nutzten das gnadenlos aus.
    Auch als sie im Januar an die Uni und ins Internat zurückkehrten, wurde es nicht besser. Mein Mann behandelte mich mittlerweile ebenfalls kühl und reserviert, was mir das Leben sehr vergällte. Als mir daher Tony erzählte, Ashur-Proffitt richte Ende März in Hartford zur Feier des fünfzigjährigen Firmenjubiläums ein großes Fest aus und er mich dazu einlud, packte ich die Gelegenheit beim Schopf. Es wäre in meinen Augen verrückt gewesen, nur wegen eines Wochenendes so weit zu fliegen, und außerdem brauchte ich sowieso eine längere Pause von Moscow House. Das einzige Problem war Helen, die sich fürchterlich aufregte, als ich ihr erzählte, ich würde mehrere Wochen weg sein, weshalb mir schließlich die glorreiche Idee kam, sie einfach mitzunehmen und ihr ein wenig von den Staaten zu zeigen. Ich wollte sie vom Unterricht befreien lassen, was keine große Rolle spielen würde, da sowieso die Osterferien anstanden. Pal senior nahm alles gleichgültig hin. Er schien vollkommen in irgendeinem Plan aufzugehen, um einen Teil seines früheren Einflusses bei Ash-Mac zurückzugewinnen. Weiß Gott, wie er es bewerkstelligen wollte. Ich versuchte ihn daran zu erinnern, dass er laut den Verträgen aus dem Spiel war, aber er wollte mir nicht zuhören.
    Vor ein paar Wochen war er auf einer mysteriösen Geschäftsreise in London, am selben Nachmittag hörte ich die Eingangstür, und als ich nachsah, stand Pal junior vor mir.
    Er tat so, als würde es ihn überraschen, dass sein Vater nicht da war. Vielleicht war er es wirklich. Aber ich wollte es nicht darauf ankommen lassen. Helen, die leicht erkältet war, ging früh zu Bett, bald darauf folgte ich und sperrte die Tür hinter mir zu.
    Helens Zimmer lag neben meinem, ich hörte sie husten, doch dann musste ich eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, schlug die Uhr gerade Mitternacht. Aus Helens Zimmer kam kein Ton, aber ich glaubte ihre Tür gehört zu haben. Nach einer Weile stand ich auf und sah nach. Ihr Bett war leer. Ich ging hinaus, glaubte, sie ist vielleicht auf die Toilette, da hörte ich von unten ein Geräusch. Vorsichtig stieg ich die Treppe hinunter – ich hatte nicht vergessen, dass Pal junior zu Hause war –, doch als ich das Klavier im Musikzimmer hörte, war ich mir sicher, dass es Helen sein musste. Sie war die Einzige in der Familie mit musikalischem Talent, und hier handelte es sich um die Eröffnungstakte ihres Vorspielstücks »Von fremden Ländern und Menschen« aus Schumanns
Kinderszenen.
Ich ging also einfach in den dunklen Raum, sagte was wie, »Hallo, Liebling, ich bin’s. Konntest du nicht schlafen?«
    Und Pal junior erwiderte: »Mit dir in einem Haus? Nie und nimmer,

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