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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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damit hatte sie nicht gerechnet.
    Ihre Gründlichkeit allerdings hatte nicht alles erfasst. Sie hatten nicht versucht, den Waffenschrank von der Wand wegzuziehen.
    Sie ging zu ihm und öffnete ihn. Der Staub, der sich darin angesammelt hatte, schien unberührt.
    Sie griff hinein, umfasste die Gewehrhalterung, drehte sie entgegen dem Uhrzeigersinn und zog an. Die Rückwand schwang auf gut geölten Scharnieren nach außen. Sie richtete den Taschenlampenstrahl in die zum Vorschein gekommene Kammer.
    Im gleichen Moment ging das Licht im Zimmer an, und eine Stimme sagte: »Hab mal einen Film gesehen, in dem hinter einem Safe ein weiterer Safe versteckt war. Hätte gleich drandenken sollen.«
    Eine Augenblick lang erstarrte sie, aber als sie sich umdrehte, war ihrer Miene nichts zu entnehmen als die Freude der liebenswürdigen Gastgeberin.
    »Wie schön, Sie zu sehen, Sergeant«, sagte sie. »Ich bin ja so froh, dass ich behilflich sein konnte.«
    »Das waren Sie ganz gewiss«, stimmte Wield zu. »Also, Mrs. Kafka, was führt Sie hierher?«
    »Im Grunde Mr. Pascoe. Er fragte mich, ob ich etwas über ein zweites Gewehr wüsste. Ich verneinte, aber es wollte mir nicht aus dem Kopf, und da fiel mir ein, dass ich meinen Mann, das heißt, meinen ersten Ehemann, einmal gesehen habe, wie er diesen Schrank abschloss. Mir kam es damals etwas seltsam vor, dass die Tür ganz nach außen schwang, aber mir ist nie der Gedanke gekommen, dass sich dahinter ein zweiter Schrank verbergen könnte, das heißt, nicht bevor Mr. Pascoe mich auf den Gedanken brachte. Und nachdem mir das im Kopf rumging, konnte ich nicht eher ruhen, bis ich es selbst in Augenschein genommen hatte.«
    »Sie haben nicht daran gedacht, Mr. Pascoe anzurufen?«
    »Um ihn vielleicht einem Hirngespinst hinterherjagen zu lassen? Nein, ich dachte mir, ich fahre gleich selbst hierher und frage den Dienst habenden Polizisten, ob ich meine Theorie überprüfen könnte.«
    »Und als Sie sahen, dass es keinen Dienst habenden Polizisten gab?«
    Sie lächelte. »Aber es gibt doch einen, Sergeant. Sie. Hier sind Sie also. Ein kleines Rätsel gelöst. Und nun, wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich muss nach Hause. Mein Mann ist nicht da, und er wird wahrscheinlich versuchen, mich von seinem Hotel aus anzurufen. Gute Nacht, Mr. Wield.«
    Sie ging auf ihn zu.
    Er beobachtete sie mit unbeweglicher Miene.
    Dann trat er zur Seite. »Gute Nacht, Mrs. Kafka.«
     
    Dolly Upshott hatte keine Ahnung, wie lange sie schon in der St.-Cuthbert-Kirche saß.
    Es war kalt hier drinnen, aber nicht kalt genug, um den eigentümlichen Geruch des Ortes zu kaschieren, den ihr Bruder den Duft der Heiligkeit nannte. Er bestand aus Holz und Leder und Stoff und Stein und Feuchtigkeit und einem Hauch von Weihrauch und Weihwedel (David war immer ein wenig »high«). Die Buntglasfenster, die wunderbar schimmerten, wenn die Sonne durchfiel, waren für das Sternenlicht zu stark getönt.
    Nur im Südwesten, wo der Schein des gewölbten Mondes auf ein hohes schmales Fenster fiel, drang diffuses Licht durch. Dort hatte sie Platz genommen.
    Sie bewegte sich nicht, auch nicht, als sie die Kirchentür hörte, die sie offen gelassen hatte. Sie wurde knarrend noch weiter geöffnet, dann waren Schritte im Mittelgang zu hören.
    »Ich sah die Tür offen stehen, als ich vorbeifuhr«, sagte Kay Kafka. »Es sah wie eine Einladung aus. Aber wenn ich Sie störe …«
    »Nicht mehr als das Leben auch. Setzen Sie sich.«
    Kay, nicht sicher, ob es sich dabei um einen englischen Scherz handelte, ließ sich auf der Kirchenbank nieder und sah zum Fenster hinauf, in dem das Mondlicht das Buntglas zum Glühen brachte. Zwei Gestalten mit Heiligenschein waren zu erkennen, die übers Wasser aufeinander zu schritten. Gewöhnlich sah man in ihnen Herbert of Derwentwater, der seinen Kumpel Cuthbert of Lindisfarne besuchte, oder umgekehrt. Eine der Figuren (wahrscheinlich Herbert) wirkte dabei wesentlich unsicherer als der andere, als bekäme er es nicht ganz aus dem Kopf, dass der kleinste Zweifel an seinem Glauben ihn in ein seegrasbewachsenes Grab stürzen könnte.
    »Ich weiß, wie es sich anfühlt«, sagte Kay.
    »Pardon?«
    »Das Bild im Fenster. Übers Wasser zu schreiten ist ein großartiges Gefühl, bis etwas kommt und einen daran erinnert, dass es Wasser ist, auf dem man sich bewegt.«
    »Sie meinen ein Schiff oder so?«
    »Oder ein Hai.«
    Sie genossen den gemeinsamen amüsanten Moment, doch bald darauf war jede

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