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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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erst drei. Mutter hat Helen spät bekommen, und danach war sie körperlich und geistig nie mehr dieselbe. Für Dad war es in vielerlei Hinsicht eine schwere Zeit. Es gab Probleme zu Hause, zudem versuchte er die Firma über Wasser zu halten, während in der Rezession ein Unternehmen nach dem anderen gnadenlos unterging. Beim Tod meiner Mutter muss er sich am absoluten Tiefpunkt gefühlt haben. Seine Schwester Lavinia – meine Tante Vinnie – zog daraufhin bei uns ein, um sich um uns zu kümmern. Sie tat ihr Bestes, war aber im Grunde überfordert. Sie hat’s mit den Vögeln. Und genauso hat sie uns behandelt, wie Nestlinge. Sie achtete darauf, dass wir warm gehalten und regelmäßig gefüttert wurden, verbrachte aber mehr Zeit im Garten als im Haus. Das wäre nicht so schlecht gewesen, ich meine, als junge Vögel behandelt zu werden, wenn sie es auch durchgehalten und die Raubvögel vertrieben hätte. Aber als ungefähr ein Jahr danach die Schlampen-Hexe auftauchte, sah Vinnie darin nur eine Chance, Moscow House hinter sich zu lassen, um zu ihrem Cottage auf dem Land zurückzukehren, das eigentlich nur eine große, offene Voliere ist.
    Sie machen den Eindruck, als seien Sie ungeduldig, Superintendent. Beschränken wir uns also aufs Wesentliche. Dem Maschinenbau ging es ganz allgemein schlecht, aber im Dschungel der internationalen Wirtschaft ergeben sich aus den Katastrophen des einen Unternehmens Gelegenheiten für andere. Zeigt man Anzeichen von Schwäche, können Sie darauf wetten, dass bald darauf die Geier über einem kreisen und nur darauf warten, sich die saftigsten Stücke herauszureißen. Ashur-Proffitt in den Staaten war so ein Geier, der sein Augenmerk auf Maciver gerichtet hatte. Weiß Gott, warum sie es auf uns abgesehen hatten, aber sie hatten es auf uns abgesehen, und nichts konnte sie mehr aufhalten. Gut, es ging uns schlecht, trotzdem bestand noch Anlass zur Hoffnung. Ich meine, schauen Sie sich doch an, was seitdem geschehen ist. Das Unternehmen boomt. Hätte Dad ausgeharrt, hätte er sich noch irgendwo eine Finanzspritze besorgen können, wäre er überm Berg gewesen, und Maciver hätte eine von Maggie Thatchers großen Erfolgsgeschichten werden können.
    Aber Dad war angreifbar, in Gedanken war er nicht wirklich bei der Arbeit, und diese Yankee-Schweine kamen sehr schnell dahinter, was zu tun war, damit es auch so blieb. Ich will nicht sagen, dass alles von Anfang an so geplant war, aber ich zweifle nicht, dass sie sich sehr gründlich mit Dads Privatleben beschäftigten, und sobald ihnen klar war, dass er der persönlichen Assistentin ihres Top-Manns ebenso viel Aufmerksamkeit entgegenbrachte wie den Bilanzen, ergriffen sie die Chance.
    Musste sie hart dafür kämpfen, um zu bekommen, was sie wollte, oder musste sie von Anfang an nur mit den Titten wackeln? Ich weiß es nicht. Ich kenne nur Zweiteres bei ihr. Das überrascht Sie, Mr. Dalziel? Mich hat es auch überrascht. Alles, was ich zunächst sah, war eine dürre Ausländerin mit komischem Akzent, von der mein verrückter Vater wollte, dass wir sie als Ersatz für unsere geliebte Mutter akzeptierten, kaum dass diese unter der Erde war. Das war schon schlimm genug. Ich glaubte nicht, dass es noch schlimmer werden könnte. Nach diesen ersten Treffen, bei denen sie sich mir und Cress gegenüber als so ausnehmend nett erwies und die kleine Helen mit ihrem kindischen Gewäsch vollsabbelte, hatte ich keinerlei Ahnung, dass wir es hier mit einem sexuellen Raubtier zu tun hatten, das völlig außer Kontrolle war und an nichts anderes dachte, als seine niederen Bedürfnisse zu befriedigen.
    Es ist zwecklos, so mit dem Kopf zu schütteln, Superintendent. Ich habe einen Zeugen. Mich selbst!
    Vom ersten Augenblick an, als sie nach Moscow House kam, zog sie vor mir ihre Show ab. Sie ließ keine Gelegenheit aus, sich in Szene zu setzen. Ich ging an ihrem Schlafzimmer vorbei, und zufällig stand die Tür weit offen, und sie lag nackt auf dem Bett und lächelte mich an. Oder sie kam aus dem Bad und hatte ihren Morgenmantel nicht richtig geschlossen. Ich wusste nicht, was zum Teufel da abging. Ich war völlig durcheinander. Mein Gott, ich war erst fünfzehn, als sie geheiratet haben. Noch minderjährig. Fällt das nicht unter sexuellen Missbrauch? Das ist ein Straftatbestand, oder? Dafür kann man ins Gefängnis kommen, ist doch so? Sie werden dem doch nachgehen müssen, nicht wahr?
    Als Dad noch lebte, brachte ich es nicht über mich, etwas zu sagen.

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