Welch langen Weg die Toten gehen
Schließlich hab ich’s doch getan, aber vielleicht war es da schon zu spät, vielleicht hab ich’s auf die falsche Weise angepackt. Zu manchen Dingen muss man einfach stehen, man muss sie laut in die Welt hinausschreien, auch wenn es anderen wehtut. Gut, er ist jetzt nicht mehr, es kann ihm jetzt nicht mehr wehtun, und an allem ist diese Schlampe schuld. Aber ich bin jetzt so weit, dass ich vor jedes Gericht in diesem Land trete und die Wahrheit über sie sage.
Probieren wir es doch gleich an Ihnen aus, Mr. Dalziel, mal sehen, wie Ihnen das gefällt.
Beim ersten Mal war ich unter der Dusche, plötzlich ging die Tür auf, und sie stand vor mir. Nackt. Ich fragte, was sie wollte, aber sie trat herein und umarmte und küsste mich. Es war widerlich, sie war wie ein Tier. Ich dachte, sie würde mich bei lebendigem Leib auffressen. Ich kam mir wie eine Maus vor, in die eine Katze ihre Zähne geschlagen hatte! Je mehr ich mich wehrte, umso heftiger umschlang sie mich, bis ich alles an ihr spürte. Das Problem war nur: Ich wusste zwar, dass es schrecklich falsch war, aber ich war ein gesunder Pubertierender und verbrachte viel Zeit damit, von Mädchen zu träumen, wie es die meisten Jungs in dem Alter tun. Außer einigem Gefummel auf Partys hatte ich keinerlei Erfahrung. Es war das erste Mal, dass ich einen nackten Frauenkörper spürte, und während mein Gehirn
Nein!
sagte, reagierte mein Körper, wie es zu erwarten war. Ich wurde äußerst erregt. Sie fasste nach unten und nahm meinen Schwanz in die Hand, und sobald sie ihn berührte, kam ich. Sie hielt ihn eine Weile, dann sagte sie: »Was für eine Verschwendung. Aber es gibt ja immer noch ein nächstes Mal.« Dann ging sie.
Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Schuldgefühle. Ich glaubte, alles wäre meine Schuld. Oder wenigstens teilweise. Vielleicht lag es an der Lust, die ich dabei empfunden hatte. Ich war fest davon überzeugt, dass Gott mich bestrafen würde. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, außer ihr so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Und von diesem Zeitpunkt an achtete ich immer darauf, dass die Badezimmertür abgeschlossen war und meine Schlafzimmertür ebenfalls. Ich schämte mich, mit anderen darüber zu reden. Außer mit Cress. Sie mochte Kay nicht, von Anfang an nicht, verstehen Sie, und ich brauchte sie, um vor Kay auf der Hut zu sein, falls sie es wieder versuchen würde.
Aber es kam nichts mehr, zumindest nicht gleich. Was von ihr kam, war viel schlimmer. Sie tat so, als würde zwischen uns ein geheimes Einverständnis herrschen, sie lächelte mir verstohlen zu, streifte mich am Körper, solche Dinge. Aber sie unterließ alle offensichtlichen Versuche, hauptsächlich wohl, weil ich ihr dazu keine Gelegenheit mehr gab.
So vergingen also einige Jahre, bis ich fast schon dachte, ich hätte mir alles nur eingebildet – wäre nicht ihr Verhalten gewesen, so, als würden wir ein Geheimnis miteinander teilen. Und ich konnte sehen, dass Dad nicht glücklich war. Das beunruhigte mich ebenso sehr. Er hatte sie geheiratet, um wieder glücklich zu sein, doch das war er nicht. Aber ich war jung, ich war egoistisch, und als es für mich an der Zeit war, an die Universität zu gehen, empfand ich es nur als große Erleichterung, endlich ihrem Einflussbereich zu entkommen. Ich war glücklich und kreuzfidel und verschwendete keinen Gedanken an meinen armen alten Dad.
Dann, vor ein paar Wochen, kurz bevor sie nach Amerika aufbrach, musste alles irgendwie eskaliert sein. Cress war in den Trimesterferien zu Hause gewesen, und als sie wieder an der Schule war, rief sie mich an und erzählte mir, dass Dad ganz fürchterlich aussehe. Sie klang so besorgt, dass ich bei der ersten Gelegenheit von der Uni nach Hause fuhr. Ich hätte erst nachfragen sollen. Denn als ich ankam, stellte ich fest, dass Dad für einige Tage verreist war. Ich wollte sofort wieder nach Cambridge zurück, überlegte es mir dann aber anders. Warum um alles in der Welt sollte ich zulassen, dass diese dumme Kuh mich aus meinem eigenen Zuhause vertrieb? Wir gingen sehr höflich miteinander um, und natürlich war da auch noch Helen. Sie war jetzt neun, alt genug, um alles mitzubekommen und sich hervorragend als Anstandsdame zu eignen. Denn Kay wollte auf keinen Fall riskieren, dass sie den Heiligenschein verlor, den Helen ihr um das ränkeschmiedende Haupt gelegt hatte.
An jenem Abend war ich mit ein paar alten Kumpeln in einem Pub, und als ich nach Hause kam, war Kay bereits im
Weitere Kostenlose Bücher