Welch langen Weg die Toten gehen
denken, er hat seine Arbeit, und ich will nicht, dass er sich um mich Sorgen macht, während er in der Schule ist.«
»Er ist schon wieder in der Schule?«, fragte Pascoe. »Ich dachte, heutzutage gibt es Vaterschaftsurlaub.«
»Ich weiß nicht, bin mir nicht sicher, sie sind alle sehr hilfsbereit, und der Direktor ist wirklich sehr nett, aber heute ist ein wirklich wichtiges Spiel, ich glaube, das Finale der Schulmannschaften, und Jase ist der Einzige, der die nötigen Schiedsrichterqualifikationen hat, sie brauchen ihn heute, sonst könnte die Schule verklagt werden, wenn was schiefgeht. Wie auch immer, Mr. Pascoe, keine Sorge, stellen Sie nur Ihre Fragen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen helfen kann, Pal und ich hatten nie ein so enges Verhältnis, ich weiß gar nicht mehr, wann ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, obwohl wir manchmal miteinander telefonierten, seitdem er mit Jase Squash spielte, und ich hab zu Jase gesagt, dass wir vielleicht ihn und Sue-Lynn zum Essen einladen sollten, schließlich ist er ja mein Bruder, und es wäre doch blöd, wenn wir diese alte Geschichte nach so langer Zeit nicht mal vergessen könnten, aber Jase hat immer gesagt, ja, gut, irgendwann mal, wir sollten aber nichts übereilen, und Kay hat dem auch zugestimmt, stimmt doch, Kay, oder …?«
Pascoe, nach diesem verbalen Sperrfeuer noch leicht benommen, sah zu Kay. »Da hast du ganz Recht, Liebes«, sagte sie. »Es ist niemals klug, die Dinge zu überstürzen. So, und jetzt werde ich euch allein lassen. Ich trenn mich nur ungern von diesen beiden kleinen Wonneproppen, aber Tony fliegt morgen früh in die Staaten und verbringt die Nacht in Heathrow, ich habe ihm also versprochen, ihn heute Nachmittag zum Bahnhof zu fahren.«
»In die Staaten? Oh, wie schön. Ich liebe es dort drüben!«, rief Helen aus.
Ihre Stiefmutter ließ ihr ein Lächeln zukommen, in dem Pascoe mehr als nur trockene Ironie zu erkennen glaubte. »Strengen Sie sie nicht zu sehr an, Mr. Pascoe«, sagte sie. »Sie muss bald wieder bei Kräften sein, wenn sie mit diesen beiden zurechtkommen will. Aber ich bin mir sicher, Ihre Arbeit wird es nicht zulassen, dass Sie allzu lange hierbleiben.«
Sie fragt sich, warum ich noch immer hinter der Sache her bin, dachte sich Pascoe. Der dicke Andy hatte ihr gestern versichert, dass die Ermittlungen nicht mehr in die Zuständigkeit des CID fallen, und bislang hatte er keine Zeit gehabt, sie über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Wahrscheinlich würde sie ihn auf ihrem Handy anrufen, noch bevor sie in ihrem Wagen saß.
Sie legte die Zwillinge behutsam in das Kinderbett, hauchte beiden einen Kuss zu und beugte sich zu Helen, um ihr einen festeren Schmatz auf die Stirn zu drücken.
»Auf Wiedersehen, meine Liebe«, sagte sie. »Bis später.«
Er sah ihr nach, während sie mit sportlicher Anmut den Raum verließ, bevor er sich wieder Helen zuwandte, die in einem Handspiegel ihr Make-up und ihr Haar ordnete. War sie wirklich so unbekümmert, wie es den Anschein hatte? Kay schien sie wirklich zu mögen, und die Amerikanerin kam ihm nicht wie eine Frau vor, die viel Zeit mit den intellektuell Herausgeforderten verbringen wollte.
Wie auch immer, ein hartes Verhör kam bei Helen nicht in Frage, entschied er. Das Einfachste wäre es, sie anzuknipsen, ihr eine Richtung vorzugeben und dann zu hoffen, aus dem nachfolgend hervorsprudelnden Wortschwall was Brauchbares herausfischen zu können.
Er sagte: »Mrs. Dunn, was mich wirklich interessiert, ist die geistige Verfassung Ihres Bruders. Es wäre mir eine große Hilfe, wenn ich etwas über ihn im Zusammenhang mit dem tragischen Tod Ihres Vaters erfahren könnte, den er so gewissenhaft imitiert hat. Meinen Sie, das wird zu schmerzhaft für Sie?«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, kein Problem. Wo soll ich anfangen?«
Pascoe holte seinen Kassettenrecorder heraus und drückte auf den »Start«-Knopf.
»Vor zehn Jahren, das wäre nett«, sagte er.
5
Helen
A
ls Daddy gestorben ist, war ich neun, also alt genug, um zu wissen, was das bedeutet. Kay hat es mir in Amerika erzählt, da waren wir nämlich gerade, als sie die Nachricht erhalten hat, es war ja so schrecklich, und ich war schockiert, und ich erinnere mich noch, ich hab sie umarmt und geweint und ihr gesagt, ich bin ja so froh, dass nicht du es bist, jedenfalls so ähnlich, wahrscheinlich war das wegen Mummy, denn als sie gestorben ist, war ich erst drei und hab noch viel weniger
Weitere Kostenlose Bücher