Wellentraum
obwohl ihm sein eigener Puls in den Ohren rauschte. »Und dann sag mir, was passiert ist.«
Lucy schluckte. »Ich musste das Haus verlassen. Nur ein paar Minuten. Maggie meinte, das sei okay. Aber als ich wiederkam, war sie …«
Sein Herz machte einen Satz.
O Gott.
Was war sie?
Benommen?
Bewusstlos?
Tot?
»Weg«, vollendete Lucy den Satz kläglich.
»Weg wohin?«, blaffte Caleb.
»Ich weiß nicht, ich …«
Ein blaues Flattern am Strand erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Frauenkleid. Caleb sah genauer hin. Eine dunkelhaarige Frau in einem blauen Kleid ging durch den nassen Sand. Er umklammerte sein Handy fester. Die Art, wie sie sich bewegte …
»Ist schon gut«, fiel er seiner Schwester, die noch immer Erklärungen stammelte, ins Wort. »Ich habe sie gerade entdeckt. Ich rufe dich später an.«
Er ging zur Tür. »Ich melde mich noch mal«, teilte er Whittaker mit.
»Ich sehe keine Notwendigkeit …«
Caleb warf ihm einen Blick zu, der ihn augenblicklich verstummen ließ. Die Öffentlichkeitsarbeit konnte ihn mal. Er musste an den Strand. Er musste zu Maggie, bevor sie …
Was zum Henker trieb sie da eigentlich?
Er verlor sie aus den Augen, als er die Verandastufen hinunterstieg. Getrieben von dem Bedürfnis, besser sehen zu können, nahm er keine Rücksicht auf den Schmerz. Er erspähte sie erneut vom oberen Ende des schmalen Pfads, der sich mit Blick auf die Küste kühn die Klippe hinabwand. Definitiv Maggie, dachte er, während er die Augen nicht von ihren weißen, nackten Armen und ihrem wallenden dunklen Haar lassen konnte.
Er rief ihren Namen.
Der Wind verwehte seine Stimme, schlug ihm ins Gesicht, warf draußen auf See weiße Schaumkronen auf und fuhr in die nassen Grasbüschel, die über den Abhang verstreut wuchsen. Caleb blickte finster drein. Er konnte einen knappen halben Kilometer weit die Straße zum nächsten Strandzugang hinunterfahren. Oder er konnte festen Stand, Würde und Hals auf dem Pfad riskieren.
Er begann hinunterzuklettern.
Loser Schiefer und stolperdrahtähnliche Wurzeln machten den Pfad zur gefährlichen Rutschpartie. Jeder Schritt, jedes Stolpern rüttelte die Schrauben und Platten in seinem lädierten Bein durcheinander, bis er sich wie der verdammte Blechmann aus dem
Zauberer von Oz
fühlte. Auf halbem Weg geriet sein Stiefel ins Rutschen, sein Bein verdrehte sich, das Knie gab nach. Er schlitterte, halb auf dem Hintern, hangabwärts, während seine Hände über Schotter schrammten. Er rettete sich mit einem Griff nach einem Busch und hielt sich einen Augenblick lang fest, um wieder zu Atem und sicherem Stand zu kommen.
Maggie sah nicht ein einziges Mal nach oben.
Vor seinen Augen zog sie sich das blaue Kleid über den Kopf und warf es in den Sand.
Ihm blieb der Mund offen stehen.
Unter dem Kleid war sie nackt. Total, komplett, herrlich hüllenlos. Er starrte sie an, innerlich ein brodelnder Vulkan aus Sorge und Wut und Lust, als sie mit bloßem Hintern – überhaupt ganz und gar bloß – ins Meer ging.
Endlich hatte sich wieder genug Speichel in seinem Mund angesammelt, dass er schlucken konnte. War ihr nicht klar, dass sie jemand sehen könnte? Ganz zu schweigen davon, dass das Wasser nach dem Regen von heute Vormittag eiskalt sein musste. Sie konnte sich eine Unterkühlung holen, verdammt noch mal. Ihr konnte schwindelig werden. Sie konnte ertrinken.
Er rutschte ein paar Schritte auf sie zu.
Es schien ihr nichts auszumachen. Sie watete in die tosende Brandung, genauso nackt und entspannt, wie sie es letzte Nacht in der Badewanne gewesen war.
Caleb hätte sie am liebsten erwürgt. Er wollte sie in Sicherheit wissen, bei sich zu Hause. War es denn zu viel verlangt, dass sie ein paar Stunden wartete, während er sich nach Kräften bemühte, den Bastard zu schnappen, der sie angegriffen hatte?
Offenbar schon.
Weiße Kronen wogten und schäumten um ihre Waden.
Um ihre Schenkel, ihre Taille, ihre Brüste. Caleb hielt den Atem an, als eine größere Welle heranrollte. Maggie schwankte, streckte die Arme aus und verschwand unter der Wasseroberfläche.
Fluchend hetzte er den Pfad hinab, stolperte um Büsche und über Felsen und schließlich auf den Sand.
Und erstarrte, gelähmt von dem Anblick, der sich ihm am Fuß der Klippe bot.
Maggie stand brusttief, mit bloßen Schultern, im Meer. Die Sonne brach durch die Wolken und sprühte Funken über die Wellenkämme und das langsame, grüne Wogen des Wassers. Wellen tanzten um sie herum. Sie lachte, die
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