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Wellentraum

Wellentraum

Titel: Wellentraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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wert wäre.«
    Gwyneth fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich will ja auch nur sagen – wenn du etwas Leckeres gefunden hast, würdest du doch sicher einer Freundin einen Bissen davon abgeben.«
    Margreds Augen wurden schmal. Caleb gehörte ihr. »Es sei denn, ich hätte noch Hunger.«
    Gwyneths Lächeln wurde breiter. »Jetzt machst du mich aber neugierig.«
    »Das war nicht meine Absicht. Wildere nicht in meinem Revier, kleine Schwester. Oder ich selbst werde dich beißen.«
    Gwyneths Lachen folgte Margred die Stufen hinab.
    Aber der Witz, dachte sie, ging auf ihre Kosten.
    Irgendwie hatte der Mensch Caleb sie in die Falle gelockt, sie gefangen, als wäre sie wie ein unaufmerksamer Schwimmer in ein Netz geraten. Warum sonst sollte sie zurückkehren wollen? Flüchtig dachte sie an Dylans Mutter, die ertrunken war.
    Dylans Warnung klang ihr noch in den Ohren:
»Weil sie sich zu nah ans Ufer gewagt hat.«
    Die See donnerte und dröhnte, während Margred hinunterstieg. Feuchtigkeit glänzte an den alten Steinwänden. Der Weg verbreiterte sich zu einem Tunnel, und die Treppe endete schließlich auf einer glatten Felsplatte. Licht drang vom Höhleneingang herein und offenbarte eine Reihe von Kammern mit hohen Decken, die ineinander übergingen, noch breiter, noch tiefer, und jede einzelne war mit Truhen und Schätzen angefüllt.
    Sie wählte ihren Weg bedacht hin zu einer Seemannskiste mit eisernen Beschlägen, die auf einem Felsvorsprung stand. Schnitzereien von Korn und Äpfeln wechselten einander auf der Einfassung ab. Sie schlüpfte aus ihrer Robe und schlug den Deckel zurück.
    Ihr Fell lag darin. Es war silberbraun und mit kleinen dunklen Punkten gesprenkelt und gehörte ganz unverwechselbar ihr. Sie nahm ihre zweite, pelzige Haut hoch und drückte sie mit einem Arm an ihre Brust, während sie das Samtkleid zusammenlegte.
    Eine frische Brise spielte in ihrem Haar und zerrte an dem Fell in ihren Armen. Sie hob den Kopf, um den Wind besser zu riechen, und erschauerte wohlig.
    Dann klappte sie den Deckel der Truhe zu und folgte dem Luftstrom bis zum Ausgang der Höhle. Sonnenlicht wurde von der See reflektiert und glitzerte auf den Felsen. Die Klippen türmten sich in ihrem Rücken auf. Wellen zischten und brausten zu ihren bleichen, schmalen Menschenfüßen. Während das Wasser um ihre Knöchel schäumte und Vögel kreischend über dem Ozean kreisten, stand sie einfach nur da.
    Sie hob das schwere Fell über den Kopf. Sein Gewicht streichelte ihren Rücken und legte sich über ihre Schultern. Sie fühlte, wie es sie in seine Umarmung hüllte, als die Verwandlung sie erfasste, als sich Hals und Arme verkürzten, ihr Torso sich verdickte, ihre Schenkel miteinander verschmolzen und schrumpften. Farben und Geräusche wurden gedämpfter. Die Helligkeit fiel in ihre sich weitenden Pupillen ein. Das Schreien der Vögel klang dünn und weit entfernt. Und oh, die Gerüche! Sie ergossen sich über sie, ein zähes Meeresgebräu aus Seetang, Fisch, Muscheln und Plankton, das ihr die Brise zutrug.
    Sie atmete tief ein und hob ihren geschmeidigen, stromlinienförmigen Kopf in den Wind. Ihre Barthaare bebten. Sie robbte mithilfe ihrer stummelartigen Flossen und der starken Bauchmuskeln über die Felsen. Eine Welle leckte empor, um sie zu begrüßen. Sie ließ sich von ihr hochheben und schaukeln, ließ sich erfassen und wegtragen, glitt hinein, tauchte unter, versunken in pure Empfindung.
    Sonnenlicht fiel durch die sich verdunkelnden Wellen herab, durch sich wiegende Wälder aus Seetang und Felsen, die vor Leben wimmelten, vor Entenmuscheln und Napfschnecken, vor Seegras und Seeanemonen. Hier war alles Anmut. Hier war Freiheit.
    Hier war zu Hause.
    Sie tauchte durch das kühle, dunkle Wasser und ließ alle Gedanken hinter sich. Ihre Sorgen flossen davon wie eine Kette aus silbernen Luftblasen.
     
    Sie konnte das, versicherte sich Grundschullehrerin Lucy Hunter bei der Jahresabschlussfeier. Sie konnte einen weiteren Sommer auf der Insel überleben. Das hatte sie schon früher gekonnt. Zweiundzwanzig Sommer, verdammt noch mal.
    Sie lächelte Hannah Bly ermutigend zu, die mit dem Rest des Inselschulchors auf der Bühne unter dem Basketballkorb herumzappelte. Schüler und Eltern füllten die Aula, Klappstühle schrammten quietschend über den Holzboden. Der Geruch von Kaffee, der in der Eingangshalle gekocht wurde, legte sich über den Sporthallendunst aus Staub und Schweiß.
    Es war wichtig, sich selbst zu beschäftigen.

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