Wellentraum
Kerl nicht sehen, nicht hören.
Den Kerl, der ins Feuer gesprungen war.
Aber er konnte riechen, wie er verbrannte. Der Gestank stach in seiner Nase und seiner Kehle, als hätte er Säure verschluckt.
Er kam wieder auf die Füße. Sein Puls dröhnte in seinen Ohren, Hitze schlug ihm in Gesicht und Hände, als er auf das Lagerfeuer zurannte, nahe genug, um zu erkennen, dass der Haufen auf dem Boden ein Körper war, der nackte Körper einer Frau, die vornüber in den Sand gefallen war. Ihre Haut wirkte orange in diesem schrecklichen Licht. Dieses Bild von ihr – weiblich, leuchtend, nackt – brannte sich in seine Netzhaut ein.
Sein Herzschlag setzte aus.
Maggie.
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5
C aleb stürzte auf das Feuer zu.
Maggie.
Er streckte die Hand nach ihr aus. Hitze versengte ihm Hände und Gesicht, Schmerz fraß sich in sein Knie. Er packte ihren nackten Knöchel und zog sie fort von den hungrigen Flammen.
Ihr Haar schwelte.
Scheiße.
Er riss sie in seine Arme, und dabei fiel ihr Kopf schlaff gegen seine Schulter. Er hoffte verzweifelt, dass sie sich nicht den Hals gebrochen hatte. Im hellen Mondlicht sah sie wie das verdammte Phantom der Oper aus: Die eine Hälfte ihres Gesichts war eine silberne Maske, die andere schwarz vor Blut.
Caleb kam taumelnd auf die Füße und lief mit ihr hinab zum Wasser. Bei jedem Schritt durchfuhr ihn ein stechender Schmerz, doch das spielte keine Rolle, nun, da er Maggie fest und warm in den Armen hielt. Warm und … lebendig? Er tastete nach ihrem Puls. Da, gleich unter dem Kieferknochen, fühlte er ihr Leben an seinen Fingerspitzen zucken.
Dem Himmel sei Dank.
Die Ebbe hatte eingesetzt. Als er Maggie auf den harten, feuchten Sand hinunterließ, entwich ihm durch die zusammengebissenen Zähne ein Schmerzenslaut, als sein schlimmes Bein ihrer beider Gewicht tragen musste. Sorgfältig erstickte er die Funken in ihrem Haar mit den Händen. Wie kleine Stacheln verbrannten sie ihm die Haut.
Atemwege? Frei.
Die Atmung hatte wieder eingesetzt.
Kreislauf …
Die klaffende Wunde über ihrer linken Augenbraue stand offen wie ein mürrischer Mund. Das Blut kümmerte ihn nicht. Kopfwunden bluteten immer stark. Aber ihre Bewusstlosigkeit machte ihm Sorgen. Dieser Bastard musste hart zugeschlagen haben.
Er streifte die Jacke ab, um sie ihr umzulegen. Die See kroch über den Sand heran, durchtränkte seine Hosenbeine und schwappte über ihre nackten weißen Zehen und Waden. Caleb fluchte.
Aber das kalte Wasser erweckte sie wieder zum Leben. Sie stöhnte auf.
»Alles in Ordnung«, beruhigte er sie, obwohl das nicht stimmte, obwohl sie nackt war und blutete und der verfluchte Kerl, der ihr das angetan hatte, ins Feuer gesprungen war. »Es ist alles in Ordnung mit dir.«
Er griff nach seinem Handy.
Sie fuhr kerzengerade auf und rollte sich von ihm weg Richtung Feuer.
»Hey!«
Er warf sich auf sie, bevor sie sich selbst verbrennen konnte. Sie wehrte sich unter ihm wie ein wildes Tier in der Falle, wand sich, kratzte. Mit seinem ganzen Körpergewicht hielt er sie in Schach, wobei er versuchte, sie nicht zu zerquetschen, ihr nicht weh zu tun und selbst besonnen zu bleiben.
»Ruhig«, keuchte er ihr ins Ohr. »Ich bin’s, Caleb. Ganz ruhig.«
Sie wandte den Kopf und biss ihn.
Jesus.
Er umklammerte ihren Kiefer und drückte zu. Nicht fest genug, um sie zu verletzen – hoffte er wenigstens –, aber eindringlich genug, um sie zur Vernunft zu bringen.
»Hör auf!«, befahl er.
Und einfach so fiel die Angriffslust von ihr ab. Sie lag steif wie eine Zehn-Dollar-Hure unter ihm. Wie eine Leiche. Frisches Blut sickerte aus der Wunde an ihrer Stirn.
»Maggie …«
»Feuer.« Sie presste das Wort durch die Zähne. »Im … Feuer.«
Er hatte gedacht, ihr sei der tragische Sprung ihres Angreifers in die Flammen entgangen. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht sorgte sie sich sogar um den Kerl.
Zweifel regte sich unter der Wut und der Angst in ihm wie ein scheußlicher Wurm. Sie war nackt. Vielleicht …
»Ich werde nachsehen«, erwiderte Caleb. »Aber du musst hierbleiben.«
Sie nickte – soweit ihr das möglich war, denn seine Hand hielt noch immer ihren Kiefer umklammert.
Er ließ los und hinkte über den Sand, um die lodernden Flammen zu inspizieren. Sie schossen in die dunkle Nacht wie ein Leuchtfeuer, drei Meter hoch und gut und gern anderthalb Meter breit, wütend, völlig außer Rand und Band. Er war überrascht, dass noch niemand die Feuerwehr gerufen hatte. Die Freiwilligen
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