Wellentraum
Jüngeren.
Margred kämpfte sich aus den Laken. Etwas an den verschleierten Tiefen dieser Augen …
Lucy blinzelte. »Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.« Sie hielt ihr Handy hoch. Nun waren ihre Augen wieder hell wie das Sonnenlicht über der See. Warme, grüne Augen. Calebs Augen. »Es ist Caleb. Er will mit dir reden.«
Margred setzte sich auf, schweißverklebt, und nahm das Handy umständlich entgegen. »Hallo?«
»Maggie.«
Ihr Herz machte einen albernen Satz. »Ja?«
»Es geht dir gut.«
»Ja.«
Warum auch nicht?
Aber sie war verstört von ihrem Traum, beunruhigt von dem, was sie in Lucys Augen gesehen oder geahnt hatte. Sie sah wieder zu Lucy.
Lucy zuckte mit den Schultern.
»Was ist denn los?«, fragte Maggie.
»Ich weiß noch nicht.« Calebs tiefe Stimme klang hart. Kurz angebunden. »Ich will es gerade herausfinden. Bleib, wo du bist, okay?«
Sie wusste seine Besorgnis zu schätzen, zumal er offenbar sehr beschäftigt war. Aber ihr widerstrebte seine Anmaßung, er könne ihr sagen, was sie zu tun habe.
»Ich muss um zehn zur Arbeit«, entgegnete sie.
»Sag Antonia, dass du nicht kommen kannst. Jemand wird später möglicherweise mit dir reden wollen.«
»Dann kann er ja im Restaurant mit mir reden.«
Sie hörte ihn Luft holen. »Wenn sie kommen …«
Sie?
»Sag ihnen die Wahrheit. So weit wie möglich.«
Maggie biss sich ärgerlich auf die Lippen. Welche Wahrheit? Er wollte ihre Wahrheit doch gar nicht.
So weit wie möglich?
Oder so weit, wie Caleb und seine mysteriösen »sie« sie akzeptieren konnten?
»Caleb …«
»Ich muss auflegen«, sagte er wieder mit dieser schroffen, offiziellen Stimme. »Maggie …«
Sie wartete mit rasendem Herzen und um das Handy gekrallten Fingern darauf, dass er die Dunkelheit, die ihr Traum heraufbeschworen hatte, mit dem Licht seiner Vernunft und seines warmen, starken, ruhigen Herzens vertreiben möge.
»Pass auf dich auf«, fügte er hinzu und trennte die Verbindung.
Am Strand war die Hölle los.
Ein provisorischer Kommandoposten war unter den Bäumen an der Landspitze errichtet worden, bis der Tatort wieder freigegeben werden und der ganze Polizeizirkus in den Gemeinschaftsraum des Gemeindehauses umziehen konnte. Was einer Menge Inselbewohner ein Dorn im Auge sein und Antonia ziemlich verärgern würde. Aber um die Bürgermeisterin machte sich Caleb jetzt als Allerletztes Sorgen.
Der Gerichtsmediziner war gekommen und wieder gegangen, um die Leiche in sein Büro nach Augusta zu schaffen. Diesmal war es keine aufgedunsene Ertrunkene. Diese Frau war erst vor kurzem gestorben. Gewaltsam.
Selbst Caleb, der durch den Krieg abgehärtet und an den Tod gewöhnt war, hatte der Zustand ihres geschundenen und nackten Körpers erschüttert. Die Art ihrer Wunden.
Die Schwimmhäute zwischen ihren Zehen.
Aber er konnte sich nicht mit den Füßen des Opfers aufhalten. Er durfte nicht an Maggie denken. Er hatte reagiert, wie er es gelernt hatte, hatte die hysterische Hundebesitzerin beruhigt, die Kriminalpolizei verständigt und den Tatort abgesperrt.
Und dann stand er dabei, während sie übernahmen.
Ein Staatspolizist hatte den Gerichtsmediziner aufs Festland begleitet. Nach Calebs Schätzung waren danach immer noch fünf Detectives übrig, drei Kriminaltechniker, zehn Angehörige des Maine Warden Service, die alle die umgebenden Wälder und Hänge akribisch absuchten, sowie ein Team aus Froschmännern, das vor der Küste nach Beweisen tauchte.
Der Nebel hatte sich verzogen. Caleb blinzelte gegen das blendende Sonnenlicht und sah zu, wie sich der Sergeant im Schatten mit seinen Detectives beriet.
Gott, er wollte eine Zigarette. Seine Hände ballten sich in den Hosentaschen nutzlos zu Fäusten.
Er brauchte eine Aufgabe.
Dies war seine Insel, sein Verantwortungsbereich. Aber dies war nicht sein Fall. Außerhalb Portlands fielen Morde in den Zuständigkeitsbereich des Staates. In der Vergangenheit, in der Stadt, hatte Caleb Kapitalverbrechen aufgeklärt. Aber hier und jetzt konnte er nur jenseits des Absperrungsbandes stehen und Däumchen drehen, während die Experten ihren Job machten.
Er ging auf und ab und wurde immer verschwitzter und frustrierter, während die Sonne langsam den Zenit erreichte und den Hügel in Licht und Schatten tauchte. Das ruhige blaue Meer schien sich über das geschäftige Treiben am Strand, den Aufruhr in seinem Innern lustig zu machen.
Vor seinem geistigen Auge sah er Maggie ihren hübschen nackten Fuß
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