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Wellentraum

Wellentraum

Titel: Wellentraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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ist wohl kaum ein unschuldiges Opfer.«
    »Ich bin nicht besorgt um ihn. Ich bin besorgt um dich.«
    »Süße, ich werde mit einem Anwalt mittleren Alters schon fertig.«
    Sie hob das Kinn. »Und wie wirst du damit fertig werden, wenn man dich wegen des Mordes an ihm einsperrt? Was ist dann
deine
Ausstiegsstrategie?«
    »Ich komme schon zurecht«, beruhigte Caleb sie. »Ich werde auf Notwehr plädieren.«
    Sie sah ihn ratlos und frustriert an. Wie konnte er so leicht das Leben, das er sich so bedacht aufgebaut hatte, den Job, der ihm so viel bedeutete, aufgeben?
    Und da wurde es ihr klar.
    Er verstand nur zu gut.
    Er machte sich keine Sorgen um seine Zukunft, weil er nicht damit rechnete, dass er überleben würde.

[home]
    20
    D er Schlüssel lag unter einer Hummertonne auf der vorderen Veranda.
    Genau wie zu Hause. Caleb schloss die Finger um den angelaufenen Metallschlüssel und überlegte, an welchen anderen alten Angewohnheiten sein Bruder nach fünfundzwanzig Jahren wohl noch immer festhalten mochte.
    Er erhob die andere Hand, um anzuklopfen. »Jemand zu Hause?«
    Keine Antwort.
    »Es ist nicht abgeschlossen«, sagte Maggie.
    Caleb packte den Türknauf. Tatsächlich, er drehte sich ganz leicht in seiner Hand. »Klauen Selkies nicht?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Wir treiben dahin, wie die See dahintreibt. Was die Flut bringt, nimmt die Ebbe vielleicht wieder mit.«
    Caleb knurrte. »Ich wäre gern dabei, wenn du versuchst, das einem Richter zu erklären.«
    »Es ist ganz einfach.« Maggie lächelte. »Felle haben keine Taschen.«
    Seine Augen verengten sich.
    »Das war ein Witz«, erklärte sie ernsthaft.
    Ein widerwilliges Lächeln zerrte an seinen Lippen. »Ja, das habe ich verstanden.«
    Er hatte einfach noch nie gehört, dass sie sich an einem Witz versucht hatte. Wie das Guck-guck-Spiel eines Kleinkinds wirkte die Bemühung eher tolpatschig, liebenswert und … menschlich.
    Sein Herz geriet ins Stolpern. Er drückte die Tür auf.
    Drinnen sah die Hütte wie jedes andere heruntergekommene Feriencottage in Maine aus: derselbe Bodenbelag aus sich schälendem, knorrigem Kiefernholz, dieselben rostigen Türscharniere und veralteten Gerätschaften. Schimmel wucherte an der Kühlschranktür. Auf dem Regal stand eine Flasche Ketchup, ein moderiger halber Brotlaib und ein Kasten Bier. Caleb fragte sich, wo Dylan seine Lebensmittelvorräte kaufte. Nicht auf World’s End.
    Maggie rümpfte die Nase über den Geruch. »Ich glaube nicht, dass Gwyneth ihr Fell in diesem Kühlschrank aufbewahrt hat.«
    »Das sehe ich auch so.« Caleb schloss die Tür. Sein Bruder war nicht wichtig. Maggie war wichtig.
    »Ich sehe mal draußen nach, während du hier suchst«, sagte sie.
    Caleb ließ den Blick über die vier rechteckigen Wände und den schmalen Flur wandern. Er führte – zum Schlafzimmer? Zum Bad? »Hier gibt es nicht viele Möglichkeiten zu suchen.«
    Maggies Lippen kräuselten sich. »Dann wird es ja schnell gehen.«
    Es gefiel ihm nicht, dass sie sich aufteilten. Aber auf einer Insel, auf der sich sein Bruder nicht einmal die Mühe gemacht hatte, die Tür zu verschließen …
    »Bleib beim Haus«, ermahnte er sie. »So dass ich dich sehen kann.«
    Sie blickte ihn durch ihre dichten Wimpern hindurch an. »Natürlich.«
    Dieser rehäugige Gesichtsausdruck ließ die Alarmglocken in seinem Kopf schrillen.
    Aber sie hatte im Restaurant auf ihn gewartet.
»Dann sieht es so aus, als säßen wir jetzt in dieser Sache in einem Boot«,
hatte sie gesagt.
    Er wollte ihr vertrauen.
    Er musste ihr vertrauen.
    Und so ging er den Flur hinunter.
     
    Während sie beobachtete, wie Calebs große, starke Gestalt in einer Tür verschwand, hätte Margred ihn am liebsten zurückgerufen, um ihm noch etwas zu sagen, ihn noch einmal anzusehen, ihn noch einmal zu küssen …
    Ein dummes, weibliches,
menschliches
Bedürfnis.
    Ungeduldig trat sie durch die Haustür nach draußen und durchquerte den sonnenhellen Garten, in dem Gänseblümchen und Gänsedisteln blühten. Als sie den Schatten der hohen Fichten erreichte, warf sie über die Schulter einen letzten Blick zum Haus zurück.
    Und dann rannte sie los.
     
    Mit den Händen in den Taschen, prüfendem Blick und emotionsloser Sachlichkeit begutachtete Caleb den Raum wie einen Tatort.
    Wenn dies Dylans Zimmer war, hatte sich der Geschmack seines Bruders in fünfundzwanzig Jahren nicht weiterentwickelt. Die marineblaue Decke war aus demselben derben, geriffelten Material, das auch auf

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