Wellenzauber
reichte. Dann hob er seinen Arztkoffer hoch und ging zur Haustür.
Die Hebamme würde noch bei Filippa bleiben, während er zurück in die Praxis fuhr. »Übrigens«, sagte er, schon an der Tür. »Es könnte sein, dass ich für ein, zwei Wochenwegmuss. Ich werde Giovanni bitten, mich solange zu vertreten.«
Giovanni Carifano war ein Allgemeinmediziner römischer Herkunft. Er und Federico halfen einander manchmal aus.
»In Ordnung«, erwiderte Martha überrascht. »Ich habe gar nicht gewusst, dass du Urlaub nimmst. Hast du etwas Bestimmtes vor?«
»Ich werde … ich muss nach Deutschland fliegen. Es ist dringend.«
Martha runzelte die Stirn. Sie verstand überhaupt nichts. »Und wann?«
»Ich denke, übermorgen.« Damit ging er hinaus und schloss leise die Tür, um die Babys nicht zu wecken.
»Du hast dich verhört.« Lorella sortierte ein paar Patientenkarten in den Karteikasten und warf Martha dann einen zweifelnden Blick zu. »Federico fährt nicht weg. Das wüsste ich doch. Er ist schließlich mein Freund, und er erzählt mir immer alles, was er plant.«
Martha hätte sich auf die Lippen beißen mögen. Verflixt! Warum hatte sie bloß ihren Mund nicht halten können!
Sie war noch kurz in die Praxis gekommen, weil sie hoffte, von Lorella nähere Informationen zu bekommen, aber Federicos Freundin wusste offenbar selbst noch weniger als sie.
»Ja, wahrscheinlich. Ich habe da was falsch verstanden«, sagte sie schnell.
Aber Lorellas Blick ließ sie nicht los. »Nach Deutschland, sagst du?«, fragte sie alarmiert. »Er will nach Deutschland fliegen? So plötzlich?«
Martha hob die Schultern. »Sieht so aus. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Wozu? Seine Eltern kommen ein paar Mal im Jahr aus München her, um ihn zu besuchen. Sonst hat er da niemanden mehr. Freunde …« Sie stockte plötzlich, und Martha ahnte, dass Lorella sich mindestens ebenso viele Gedanken über Federicos Vergangenheit gemacht hatte wie sie selbst.
»Es ist besser, er fährt nicht«, schloss Lorella und kniff die Lippen zusammen. Sie wirkte auf einmal sehr entschlossen.
»So«, meinte Martha misstrauisch. »Und wie willst du das verhindern?«
Lorella wandte sich wieder den Patientenkarten zu und tat, als hätte sie die Frage nicht gehört.
»Lorella!«
»Che c’è?«
»Ich will wissen, was du vorhast.«
»Ich? Nichts. Wie kommst du darauf? Ich finde es nur besser, wenn Federico hier bei uns bleibt. Du etwa nicht?«
»Schon«, meinte Martha vorsichtig.
Lorella warf ihr ein schnelles unechtes Lächeln zu. »Dann sind wir uns ja einig.«
4. Kapitel
»Du solltest dir mal überlegen, was du eigentlich willst.« Kerstin tauchte ihren Löffel in die heiße Erbsensuppe, führte ihn zum Mund, ließ ihn dann aber wieder sinken. »Bisher habe ich gedacht, du interessierst dich nicht für Florian.«
»Was soll das?«, fragte Sina. »Florian ist ein guter Arzt und ein netter Kerl. Ich mag ihn. Was ist falsch daran?«
Die beiden jungen Hebammen aßen gemeinsam in der Cafeteria von Sankt Marien. In dieser Woche hatten sie wieder zusammen die Tagesschicht übernommen. Normalerweise freute sich Sina, wenn sie mit Kerstin zusammenarbeiten konnte, aber jetzt wünschte sie sich plötzlich, sie hätte sich doch wieder für die Nacht eintragen lassen. Die Schicht von zehn Uhr abends bis sechs Uhr in der Früh war zwar anstrengender und zerstörte für eine ganze Weile ihren Schlafrhythmus. Aber erstens verdiente sie besser, und zweitens konnte sie Kerstin dabei aus dem Weg gehen. Nie hätte Sina gedacht, dass sie sich so etwas einmal wünschen würde.
Dass nun ausgerechnet ein Mann, der Sina nichts bedeutete, ihre Freundschaft zerstören sollte, das wollte ihr nicht in den Kopf.
Aber war das wirklich die ganze Wahrheit? Wenn Sina ganz ehrlich war, dann fühlte sie sich durch Florians Aufmerksamkeit geschmeichelt. Doch das konnte sie Kerstin unmöglich gestehen.
Sie schob ihren eigenen Suppenteller beiseite und griff nach dem Obstsalat. Dann sah sie Kerstin an. »Florian interessiert mich nicht. Ich schwör’s dir.« Sie gab sich alle Mühe, aufrichtig zu klingen, und hoffte, die Freundin würde ihr glauben.
Aber Kerstin schien nicht überzeugt. Die sonst so lebenslustige junge Frau wirkte bedrückt.
Sie liebt ihn wirklich, dachte Sina plötzlich. Seit ich sie kenne, ist sie zum ersten Mal richtig verliebt. Denn was hatte dieser träumerische Blick in den Augen einer Frau zu suchen, die sonst alles und jeden mit ihrem fröhlichen Spott
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