Weller
ein Bein, um in die unter dem Fenster stehende Wanne zu steigen.
Bodenlose Wut ließ mich mit den Zähnen knirschen. Dieses Schwein! Er musste sich im Nachbargarten herumgetrieben haben. Das Haus der Zastrows stand seit dem Winter leer. Irgendwelche Streitigkeiten des getrennt lebenden Paares verhinderten den Verkauf und der Garten war in den letzten Monaten zugewuchert. Die Aufnahmen waren beide auf den 23. April datiert. Ich sah in meinem Taschenkalender nach. Damals war ich zu einer Fortbildung nach Hannover unterwegs und Ellen allein zu Haus gewesen. Nicht auszudenken, was hätte passieren können!
Meine Hand zitterte, als ich zum Telefon griff. Ich war mir sicher, die Aufklärung des Mordfalles ein gutes Stück voran- zubringen, indem ich der Kripo diese Foto-CD übergeben würde. Sobald sie den Mörder überführt hätten, wäre auch Ellen wieder sicher.
Wie naiv dieser Wunsch war, würde ich schon bald erfahren. Und irgendwann würde ich diesen Tag verfluchen, an dem ich durch mein Handeln, ohne es zu ahnen, meine Frau erst in Lebensgefahr brachte.
***
Samstagnachmittag. Ruhe lag über der Poeler Wohnstraße abseits der Touristenrouten. Nur von Zeit zu Zeit fuhr ein Auto vorbei oder waberten Stimmen aus den Nachbargärten zu uns herüber. Kriminalhauptkommissar Dietmar Holter hatte sich mit Koiteich, Hollywoodschaukel und Miniaturobstbäumen eine Oase der behaglichen Bürgerlichkeit geschaffen, in die ich gerade heute nur zu gern abtauchte und so tat, als wäre alles in schönster Ordnung. Doch natürlich funktionierte das nicht. Unweigerlich ging es in unserer Unterhaltung irgendwann doch wieder um unsere Arbeit. Aus Gründen, die mir selbst in letzter Konsequenz nicht klar waren, hatte ich Ellen nichts von den Fotos auf der CD-ROM erzählt. Vermutlich wollte ich sie nicht beunruhigen; genügte es doch, wenn einer von uns, entgegen unserer Gewohnheit, jeden Abend alle Vorhänge schloss, misstrauisch die Grenze zum Nachbargrundstück beäugte und vor dem Schlafengehen mindestens zwei Mal kontrollierte, ob Haus- und Terrassentür verschlossen waren. Unser eigener Garten war mir fremd geworden; ich war nicht mehr gern draußen und hatte Ellen unter einem Vorwand überredet, wieder am großen Eichentisch in der Wohnküche zu essen – auch wenn die Abendsonne die Terrasse in noch so schönes goldenes Licht tauchte.
Ich war zu einem Nervenbündel geworden, das bei jedem Geräusch von draußen aufmerksam wurde und dessen Ursache ergründen musste – und sei es um drei Uhr nachts. Ellen nahm an, dass mich diese Demonstrationen vor Zorns Haus emotional belasteten, ich mich einfach zu stark um meinen Klienten sorgte. Ich ließ sie in dem Glauben, was dazu führte, dass sie ständig auf Zorn, die Demos und eben auch auf den Mord zu sprechen kam. In jedem anderen Fall hatte ich bislang ihre klugen Kommentare und erhellenden Nachfragen genossen. Diesmal machten sie mich nur nervös.
Die Foto-CD lag seit zwei Tagen beim LKA in Schwerin. Ich war selbst hingefahren, hatte sie dem zuständigen Kommissar ausgehändigt und meine Zeugenaussage zu Protokoll gegeben. Seitdem hatte ich nichts gehört, obwohl sie doch sicher schon meinen Klienten Kalle und dessen Kumpel Burkhard Kraus in die Mangel genommen hatten. Auch war Ellen bisher nicht als Zeugin befragt worden. In entspannterer Geistesverfassung hätte ich schulterzuckend das sprichwörtliche Mecklenburger Tempo dafür verantwortlich gemacht.
Angesichts meiner Ungeduld hatte ich mich jedoch dazu entschlossen, Dietmar als meinen Verbindungsmann bei der Polizei einzuweihen, um Informationen über den Fortgang der Ermittlungen zu bekommen. Und ich musste Ellen gegenüber die Sache endlich ansprechen. Mein Schweigen war irrational und brachte mich auch nicht weiter. Als könne ich es ungeschehen machen, dass der Unbekannte sie fotografiert hatte, wenn ich es für mich behielt! Falls sie doch noch zur Aussage vorgeladen würde, käme alles heraus. Sie würde dann nicht verstehen, warum ich ihr die Existenz dieser Fotos verschwiegen hatte. Ich nahm mir vor, ihr gleich heute Abend, wenn wir wieder zu Hause wären, oder spätestens morgen früh alles zu berichten. Hier in Holters Garten wollte ich noch eine Weile lang so tun, als wäre alles wie immer.
Kann man schon Wismar eine gewisse Weltabgewandtheit nicht absprechen, scheinen auf der Insel Poel die Uhren noch ein wenig langsamer zu gehen.
Ich war gern hier – wo alle Einheimischen mindestens über drei Ecken
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