Weller
wie eine Prinzessin aus 1001 Nacht wirken ließ. Sie warf sich das lange Haar, das sie heute, da sie nicht im Atelier gearbeitet hatte, offen trug, über die Schultern und hockte sich im Schneidersitz auf unser Küchensofa.
»Alles klar?«, fragte ich.
Ellen wirkte nachdenklich. Ich erwog, ob es sich um einen guten Augenblick handelte, ihr von den Spannerfotos zu erzählen. Sie zog die Stirn kraus und angelte den Tabak aus ihrem Samtbeutel.
»Mit mir ja. Aber bei dir bin ich mir nicht sicher,« Sie warf mir einen forschenden Blick zu. Ich goss den Wein in die Gläser und prostete ihr zu.
»Wieso? Wir haben gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt, bevor Dietmar seinen rührseligen Törn bekommen hat.« Im Alkoholnebel verfiel unser Freund oft in eine weinerliche Stimmung, die nur schwer zu ertragen war.«
»Lenk nicht ab, Weller.« Ellen blies den Rauch ihrer Zigarette in Richtung Decke. »Ich meine, mit dir stimmt etwas nicht. Seit drei Tagen schleichst du mit einer schuldbewussten Miene um mich herum, wie die Katze, die den Sahnetopf umgeworfen hat.«
»Apropos, hast du vorhin Quax gefüttert?«
»Weller – bitte.« Ich war morgens mit dem Füttern unserer Katze dran, Ellen abends. Daran hatte sich seit der Winternacht, in der das Tier uns vor drei Jahren zugelaufen war, nichts geändert. Ich musste nun mal früh raus und meine Liebste war Langschläferin. Und keiner von uns hatte je seine Pflicht vergessen, denn Quax erinnerte uns zu den üblichen Fütterungszeiten lautstark an ihren Appetit. Ellens Ton mahnte mich daher, mit dem Versteckspiel aufzuhören.
Ich gab klein bei.
»Okay, es gibt tatsächlich etwas, das ich mit dir besprechen muss.« Ich nahm einen hastigen Schluck und bedauerte fast ein wenig, dass ich vor 15 Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte. Eine Zigarette war doch immerhin etwas, an dem man sich in einem solchen Moment festhalten konnte. Ich machte es kurz und schilderte ihr die Umstände, unter denen ich zu dieser CD-ROM gekommen war, und was ich darauf entdeckt hatte. Als Ellen einmal kurz auflachte, zuckte ich zusammen.
»Und deshalb verbarrikadierst du uns?« Sie zögerte. Die Tragweite des Gehörten schien erst langsam in ihr Bewusstsein zu sickern. »Kann ich die Aufnahmen sehen?«
Ich hatte die Daten kopiert, bevor ich den Silberling der Kripo übergab. Das war vielleicht nicht ganz legal – aber schließlich waren wir direkt Betroffene.
»Dieses miese Schwein«, murmelte Ellen, als sie die Fotos durchklickte. »Der ist doch krank.« Sie kam zu den beiden Aufnahmen, die sie selbst zeigten und verstummte, zog wie fröstelnd die Schultern hoch. »Aber warum hast du mir nicht gleich davon berichtet?«
»Ich war selbst so empört und auch verwirrt, habe mir eingebildet, dich dadurch schützen zu können. Natürlich ist das Blödsinn. Doch die Angst um dich hat mich irrational handeln lassen.« Ich beugte mich zu ihr und küsste sie aufs Haar, das nach einem Tag in der Sommersonne duftete. »Verzeih mir.« Wir küssten uns und dann begann Ellen, mich auszufragen. Sie verkraftete den brutalen Einbruch in unsere Intimsphäre erstaunlich locker. Oder sie überspielte ihre Erschütterung perfekt. Jedenfalls wollte sie alles wissen. Was Kalle mir über die Foto-CD erzählt hatte, wie der Kripobeamte reagiert hatte, ob es denn sicher sei, dass der Fotograf auch der Mörder der Studentin war. Wir sahen uns die Fotos noch einmal an, besonders die Aufnahmen des Mordopfers und diejenigen, auf denen Ellen zu sehen war – ganz so, als kämen wir dadurch der Lösung des Falles näher oder könnten auf diese Weise wenigstens das Unwohlsein bekämpfen, dass dieser Voyeur bei uns ausgelöst hatte. Beschämt erinnerte ich mich an meine Erregung beim ersten Anschauen der nackten und halbnackten Frauen. Heute, gemeinsam mit Ellen, sah ich nur die Opfer, in deren Leben der Fotograf hemmungslos eingebrochen war. Menschen, die er in ihren eigenen vier Wänden beschmutzt und missbraucht hatte.
Als wir alles in alle Richtungen drei Mal durchgesprochen hatten und die Flasche Wein geleert war, überkam mich ein Gefühl der Erschöpfung. Zugleich aber spürte ich eine beruhigende Gewissheit. Wir würden die Sache gemeinsam durchstehen, uns, wo nötig, auf den Boden der Tatsachen zurückholen und vor allem: die Nerven behalten.
***
»Kennst du das, dieses seichte Sehnen, das an dir, an deinem Mund, an deinem Bauch, deinen Eiern zerrt – obwohl du gerade gut gegessen hast, mit netten Leuten,
Weitere Kostenlose Bücher