Weller
Verfassung genagt, sondern uns auch unwillkürlich näher zusammenrücken lassen. Ellen hatte versprochen, mich an jedem Tag über ihre geplanten Aktivitäten zu informieren. Nie wieder wollte ich so erschüttert nach ihr suchen müssen wie neulich, als sie das Holz besorgt hatte. Und wir nahmen uns mehr Zeit füreinander, hatten Verabredungen und Termine, zu denen wir allein gefahren wären, reduziert, blieben am Abend meist zu Hause und kommunizierten mehr miteinander als gewöhnlich. Kurz: Wir waren häuslicher geworden und zelebrierten etwas, was man auch ›Ruhe vor dem Sturm, der von draußen droht‹ hätte nennen können. Und dass, obwohl es uns selbst manches Mal ein wenig übertrieben vorkam, aufgrund unserer ungewohnten Nähe fast etwas zu eng erschien und obwohl wir mit der Verhaftung des tragischen Truckers, wie ich ihn für mich nannte, den eigentlichen Anlass zu dieser Symbiose höchstwahrscheinlich verloren hatten. Gleich nachdem ich von der Segeltour mit Dietmar zurückgekehrt war, hatten wir diese Neuigkeit ausgiebig gefeiert, eine Flasche Champagner geleert und Ellen hatte sich ausführlich erzählen lassen, was es mit diesem Lukas Quandt auf sich hatte. Für meinen Geschmack bewies sie sogar ein wenig zu viel Einfühlungsvermögen in den Mann, der sie mutmaßlich heimlich ausgespäht und fotografiert hatte. Kurz bevor sie champagnerbenebelt in meinen Armen eingeschlafen war, hatte sie etwas wie ›Der Ärmste‹ gemurmelt.
Ellen war noch nicht zufrieden mit dem Farbauftrag, kippte den Inhalt des Messbechers zurück in den Kessel und schüttete aus einer Papiertüte, die sie aus einer der vielen kleinen Schubladen ihres Materialschrankes holte, Farbpigmente hinterher. Während sie, mit vor Konzentration zusammengezogenen Brauen, ihre Rührmeditation wieder aufnahm, überlegte ich, wie absurd es war, dass wir inzwischen zwar über unsere Ängste und alles, was die Sache mit der Foto-CD betraf, sprachen, auch über die nun abgewendete Gefährdung durch den Spannerfotografen, aber dabei das, was mich nach wie vor peinigte, ausklammerten. Meine eigene Verwandlung von einem Bewährungshelfer, der Zuwiderhandlungen gegen Bewährungsauflagen mit einem spöttischen Blick ahndete und sich lieber neue Interventionen für den Klienten ausdachte, zu einem revanchistischen, paranoiden Egoisten konnte kein Thema sein – da ich auch meiner Frau gegenüber an die berufliche Schweigepflicht gebunden war. Ich zwirbelte die Spitzen meines Schnurrbarts und fixierte unverwandt die wirbelnde Flüssigkeit in Ellens Kessel. Das mit der Schweigepflicht war natürlich Schwachsinn. Wäre es mir nicht so entsetzlich unangenehm, hätte ich ihr in anonymisierter Weise sehr wohl berichten können, dass ich einen Klienten aus relativ gegenstandslosem Anlass wieder hinter Gitter gebracht hatte. Lediglich aus Hilflosigkeit und Eigennutz – aus Angst um sie, um genau zu sein. Ich bräuchte keine Namen nennen, sie war klug genug, um sofort Zorn vor sich zu sehen, den Mann, den sie beim Anti-Gewalttraining kennen gelernt, der sie beim Boule so schamlos hofiert hatte und der von der Öffentlichkeit als Mörder verunglimpft worden war. Ihre Stimme unterbrach meinen Gedankenfluss.
»Du willst dieser Connor tatsächlich nachweisen, dass sie etwas mit dem Mord an der Studentin zu tun hat? Du verdächtigst sie noch immer, glaubst also an die Unschuld dieses Fernfahrers?« Wie so häufig, war ihr schon lange, bevor ich einen Gedanken aussprach, klar, worauf ich hinaus wollte.
»Wenn die Kripo von ihr wüsste, könnte sie zumindest überprüfen, ob sie ein Alibi für den Abend des Mordes hat.« Von meiner Mithilfe bei der Suche nach dem Trucker hatte ich Ellen nichts verraten, ich war mir dabei ja die meiste Zeit über selbst albern und stümperhaft vorgekommen. Deshalb klang nun meine Stimme in meinen eigenen Ohren eine Spur zu trotzig.
»Vergiss nicht, was du oft selbst im Munde führst: Der Verstand ist anfällig für Trugschlüsse«, deklamierte sie und hob das Holzscheit, mit dem sie rührte, aus dem Kessel, ließ es abtropfen, bevor sie es auf der Werkbank ablegte.
Natürlich hatte ich keine Beweise, nichts Stichhaltiges, um Connor mit dem Mord in Verbindung zu bringen, abgesehen von der Tatsache, dass auch sie voyeuristische Fotos machte und eine unangenehm menschenverachtende Haltung an den Tag legte.
»Wie wahr! Doch ich würde mir Vorwürfe machen, wenn sich irgendwann herausstellt, dass sie wirklich etwas mit einer der
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