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Weller

Weller

Titel: Weller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit
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sich, um ihrem Abscheu Ausdruck zu verleihen. Sie war unsere jüngste Kollegin, erst wenige Jahre als Bewährungshelferin tätig und immer schnell bereit, mit anderen mitzuleiden.
    Viel anderes fiel uns nicht zu bemerken ein, so räumten wir den Tisch ab und zogen uns in unsere Büros zurück. Keiner von den Kollegen ahnte, wie sehr ich mich in diesen Fall verstrickt hatte, wie sehr ich insgeheim hoffte, dass die Polizei den Richtigen geschnappt hatte. Sensibelchen hin, Sensibelchen her. Während ich meinen E-Maileingang aufrief, ermahnte ich mich, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. Ein zerrütteter Ex-Psychiatriepatient schien zwar absolut prädestiniert dafür, sein verkümmertes Beziehungsleben mit der voyeuristischen Teilhabe am Leben anderer zu kompensieren. Das hatte man ihm ja auch mittels Fingerabdruck und Tätowierungen quasi nachgewiesen. Doch ob er darüber hinaus zu einem Mord in der Lage war, stand auf einem ganz anderen Blatt.
    ***
    »In ihre Augen zu sehen ist so, als bekäme man einen Stromschlag.« Ich merkte, wie Ellen aufmerksam wurde. Sie hörte auf, in dem Kessel vor ihr auf dem Werkstattboden zu rühren und blickte zu mir herüber. Die rötliche, wässrige Lösung, die sie angesetzt hatte, um mit ihr das an der Wand lehnende Geflecht aus Weidenstämmen einzustreichen, das entfernt an eine Gestalt mit ausgestreckten Armen erinnerte, kam zum Stillstand. Ich saß in dem alten Ohrensessel, den sie mir hier in ihrem Atelier als Kiebitzplatz eingeräumt hatte. »Sie hat dermaßen hellblaue Augen, das kannst du dir nicht vorstellen. Und dabei ist zumindest eines davon sogar echt. Das andere ist ein künstliches, weil sie als Kind bei einem Unfall ein Auge verloren hat.«
    »Schon mal an farbige Kontaktlinsen gedacht?« Sie klang irgendwie schnippisch. War Ellen etwa eifersüchtig auf die amerikanische Berufskollegin? Eigentlich neigte sie nicht zu Eifersüchteleien; dazu war sie ein viel zu stark in sich ruhender Charakter.
    »Doch, habe ich. Aber das ändert ja nichts an ihrer Erscheinung, wie sie sich anzieht, wie sie sich benimmt. Diese überspannte maskuline Attitüde, diese Cowboynummer. Sie wirkt mehr als künstlich, irgendwie wie ein Fantasiewesen, das sie selbst erdacht hat und nun permanent darstellt.«
    »Und weshalb interessiert sie dich so sehr?« Ellen hatte wieder in der Flüssigkeit zu rühren begonnen, in einem ruhigen, methodischen Rhythmus, enervierend langsam und bedacht. »Wir haben doch schon viele exaltierte Stipendiaten in Plüschow erlebt. Bei manchen, gerade den Jüngeren, dient die überdrehte Fassade der Darstellung und Festigung der eigenen künstlerischen Identität, ist quasi eine Verlängerung ihres künstlerischen Schaffens. So sehe ich das. Und dann gibt es da noch den   Dalí -Typ. Die bilden so eine klischeehafte Künstlerpersönlichkeit erst aus, wenn sie erfolgreich, das heißt bekannt werden und im Licht der Öffentlichkeit stehen. Ich gehöre glücklicherweise weder zu der einen noch der anderen Gruppe – hoffe ich.« Ellen schaute mich forschend an. »Oder findest du so eine exzentrische Selbstdarstellung vielleicht attraktiv?«
    »Nur aus der Distanz – wenn überhaupt«, beeilte ich mich zu versichern. »Connor ist wie eine Seerose. Anziehend aus der Ferne, gefährlich, wenn man ihr zu nahe kommt.«
    Unser Gespräch lief auf einer falschen Bahn, wollte ich doch eigentlich mit ihr über meinen nach wie vor bestehenden Argwohn Connor gegenüber reden. Solange der festgenommene Trucker nicht des Mordes überführt war, nahm ich meinen Verdacht bezüglich der Amerikanerin eben ernst. Ellen hatte sie bisher nicht näher kennen gelernt, sie an jenem Vernissageabend in Plüschow nur als eine von vielen wahrgenommen. Nun entnahm sie mit einem Messbecher eine Probe ihres Gebräus und strich etwas davon mit einem Pinsel auf ein Stück des Weidenholzes, das auf der Werkbank lag. Ich blieb still. Normalerweise galt die Verabredung zwischen uns, ich hätte die Klappe zu halten, solange Ellen noch bei der Arbeit war. Erst wenn sie begann, aufzuräumen, war Zeit für eine Unterhaltung. Doch waren manche unserer Gewohnheiten und Rituale in den letzten Wochen dahingeschmolzen wie Eiswürfel auf einem heißen Ofen. Die unsichtbare, jedoch in jedem Moment spürbare Bedrohung, der wir uns ausgesetzt sahen, die Furcht, der Spanner könnte uns erneut auflauern und, falls er wirklich der Frauenmörder war, Ellens Leben bedrohen, hatte nicht nur an unserer persönlichen

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