Weller
strömte demonstrative Langeweile aus. Ich beobachtete sie unauffällig, während der Staatssekretär zum Schluss kam und das Wort an Jara übergab.
Sie hielt sich erfreulich kurz und wünschte den Anwesenden dann einen anregenden Kunstgenuss in der Ausstellung, die sie zum Rundgang freigab. Die Menge erhob sich und zerstreute sich in die Säle sowie in das Obergeschoss, wo ebenfalls Exponate ausgestellt waren. Ich schlenderte herum, umkurvte plaudernde Grüppchen und versuchte mich zwischen all den lachenden, plappernden und schwadronierenden Menschen auf die Bilder und Objekte zu konzentrieren. Ellen würde von mir erfahrungsgemäß eine detailreiche Beschreibung erwarten. Das war jedoch nicht einfach. Mehrfach sprachen mich Leute an oder grüßten mich über den halben Saal hinweg. Dann traf ich auf Jara, die mich, obwohl von mehreren Menschen umringt, trotzdem herzlich begrüßte und nach Ellen fragte. Ich erklärte, warum ich alleine gekommen war, richtete Grüße aus und ging weiter. Jaras großformatige, abstrakte Bilder, manche in Rot, andere in Grautönen, die der in langwieriger Prozedur immer wieder überlagerte Farbauftrag magisch leuchten ließ, waren nicht zu übersehen.
Am anderen Saalende hingen märchenhaft versponnene Farbfotografien in Pastelltönen, die Straßenszenen oder Architekturdetails zeigten. Im nächsten Saal standen kinetische Objekte aus Holz und Pappe, an denen man drehen oder einen Schalter betätigen konnte, um sie in Schwung zu setzen. Eine weitere Künstlerin hatte Alltagsgegenstände mit neongrüner Wolle umstrickt: Getränkedosen, eine Rohrzange, ein Bügeleisen. Auf einem Monitor lief mit schepperndem Ton ein Videofilm, der in einer Endlosschleife einen Mann in weißem Anzug zeigte, der gegen einen ihn überragenden Berg aus aufeinandergestapelten Holzstühlen eintrat und diesen am Ende zum Einsturz brachte.
Im letzten Saal hingen, wie um all diese moderne Kunst zu konterkarieren, große klassische Porträtgemälde in Öl. Männer, Frauen und Kinder in Roben aus dem vorvorigen Jahrhundert, in steifen Posen eingefroren. Ich nahm mir vor, später noch einmal genauer hinzuschauen, was es mit ihnen auf sich hatte. Vielleicht hatte der Maler winzige moderne Details auf ihnen versteckt; ein Piercing, ein Handy oder einen Autoschlüssel. Dass jemand heutzutage völlig ernsthaft solche Bilder malte, konnte ich mir kaum vorstellen. Irgendein Kniff musste an den Porträts sein. Zuvor wollte ich in den ersten Stock, so tun, als betrachtete ich die dort hängende Kunst, und dabei unauffällig in Erfahrung bringen, ob Connor in ihrem Atelier war. Auf dem Treppenabsatz standen mehrere Besucher vor dort angebrachten Bildern. Ich schlich um sie herum, froh, dass ich niemanden persönlich kannte, in keinen Smalltalk verwickelt wurde. Vor der hohen Tür mit dem taubengrauen Anstrich blieb ich stehen, neigte den Kopf ans Türblatt und lauschte. Von drinnen war nichts zu hören. Ich hob die Hand, klopfte und fragte mich gleichzeitig, was ich hier tat. Als sich eine Hand auf meine Schulter legte, zuckte ich zusammen.
»Den Täter zieht es zum Tatort zurück.«
Ich drehte mich um, versuchte nicht zu schuldbewusst in das feixende Gesicht der Amerikanerin zu blicken.
»Sollte ich das nicht? Ich hatte dich beim letzten Mal so verstanden.« Ich versenkte meinen Blick in ihre knallblauen Augen. Ein wenig zu flirten schien mir durchaus angebracht. Connor griff um mich herum und stieß ihre Tür auf.
»Wo ist deine Frau?«
»Wieso? Sollte ich sie etwa mitbringen?« Mein Versuch, zu schäkern, kam mir ungelenk und wenig glaubwürdig vor. Connor stiefelte mit knallenden Absätzen voraus und ich fragte mich für einen Moment, weshalb ich es nicht gehört hatte, als sie sich eben vor der Tür genähert hatte.
»Weller, du weißt doch, dass ich Frauen genauso wie Männer mag.« Sie hielt mir eine Bierdose entgegen und ließ meinen Blick nicht los. »Interessante Menschen interessieren mich – unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Präferenz.«
»Da haben wir ja schon etwas gemeinsam.« Ich riss den Verschluss auf und kippte mir einen Schwall Bier in die Kehle. ›Weller, Weller, was tust du hier‹, schoss mir währenddessen durch den Kopf.
»Na dann.« Sie kam zu mir und nahm meine Hand. Ich gab mir Mühe, meine Unruhe zu kaschieren und folgte ihr zu ihrem Arbeitstisch. Sie drückte mich auf einen der beiden Stühle, klappte den Rechner auf, navigierte durch das Verzeichnis auf dem
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