Weller
Taten zu tun hat – und ich nur zu skrupulös oder zu nachlässig, wie auch immer du willst, gewesen bin, um meinem Verdacht nachzugehen.« Mir wurde bewusst, dass ich mich inzwischen schon zu weit in dieses kriminalistische Labyrinth verrannt hatte, es nur noch die Option Weiterrennen gab, um ihm zu entkommen. Unvorstellbar, mich jetzt einfach zurück- zulehnen, die Polizei ihre Arbeit tun zu lassen. Sicherlich – mein gesteigertes Erkenntnisinteresse hatte etwas Manisches. Aber ich war mir völlig klar darüber, dass ich keine Chance hätte, meinen Seelenfrieden wieder zu finden, bevor ich nicht alles dazu getan hätte, den Mörder zu überführen und damit zumindest Wolfgang Zorn völlig zu rehabilitieren.
»Was willst du also tun?« Ellen begann, die Weidenzweige einzupinseln, in demselben meditativen Rhythmus, mit dem sie eben noch im Kessel gerührt hatte. Das Holz färbte sich dunkler, plötzlich nahm ich den leichten, kreidigen Geruch der Farblösung wahr.
»Ich werde am Freitag zur Ausstellungseröffnung nach Plüschow fahren und dieser Amerikanerin noch ein wenig auf den Zahn fühlen.«
»Oh gut. Dann ist wenigstens einer von uns dort, um Jara zu gratulieren.«
Ellen würde am selben Abend, an dem ihre Künstlerfreundin zusammen mit fünf anderen Mecklenburger Künstlern ihre Bilder im Schloss zeigen würde – immerhin mit einem Vertreter der Landesregierung und der Landrätin unseres Kreises als Laudatoren – ihre eigenen Arbeiten in einer Kölner Galerie präsentieren. Der Galerist und Kurator der dortigen Ausstellung hatte bei einem Ostseeurlaub Ellens Arbeiten entdeckt und vertrat sie seither überregional. Ihre Objekte waren bereits verpackt und von einer auf Kunstwerke spezialisierten, sündhaft teuren Spedition nach Nordrhein-Westfalen gebracht worden. Morgen Mittag würde ihre Schöpferin ihnen per Bahn folgen. Da ich mir nicht hatte frei nehmen können und wir normalerweise auch nicht übermäßig viel davon hielten, überall als Doppelpack aufzutreten, war es abgemacht, dass Ellen allein fahren würde.
»Also, ich bevorzuge ja, sofern es mehrere Möglichkeiten gibt, die einfachste. Und das hieße für mich: Diese Connor ist einfach nur ein wenig gaga. Gaga, aber harmlos.« Ellen grinste mich an, von ihrem Pinsel tropfte ein wenig von der roten Farblösung auf den Betonboden des Ateliers.
Ich seufzte.
»Wenn das so einfach wäre!«
***
Ich war spät dran, hatte vor der Schranke des eingleisigen Plüschower Bahnhofs warten müssen. Quälend sich hinziehende fünf Minuten hatte es gedauert, bis endlich der Bummelzug nach Bad Kleinen mich und drei andere wartende Autos passiert hatte. Nun stoppte mich, nach wenigen Schritten durch die Eingangshalle des Schlosses, die Aufsicht und geleitete mich nach rechts, zur Tür eines der Ausstellungssäle. Von dort aus sollte ich den Umweg durch zwei weitere Säle bis in das große Treppenhaus nehmen, um nicht die bereits begonnene Eröffnungsveranstaltung zu stören. In der Mitte der beiden nach oben führenden Treppen waren die in Reihen aufgebauten Stühle komplett besetzt. Auch auf den Stufen zu beiden Seiten saßen Ausstellungsbesucher, um den Worten der jüngsten Landrätin Deutschlands zu lauschen, die gerade die Vorzüge eines durch einen solch veritablen Kulturort wie das Plüschower Schloss aufgewerteten Landkreises lobte. Ich mogelte mich, mit einem Begrüßungsnicken zu Jaras Mann, auf eine der untersten Treppenstufen und überblickte die versammelte Schar Kunstinteressierter, Pressevertreter und Künstler. Viele Gesichter kamen mir von ähnlichen Anlässen bekannt vor, andere konnte ich vage einordnen und wieder andere kannte ich persönlich. Ellens Kollege Silberbart aus Grevesmühlen, mit dem sie sich bei unserem letzten Ausstellungsbesuch hier unterhalten hatte, war wieder ebenso anwesend wie der rührige Kulturamtsleiter und die über siebzigjährige ehemalige Gemeindeschwester, die auf keiner Vernissage fehlte. Aus Schwerin war ein Staatssekretär abgeordnet worden. Er versuchte gerade, im Anschluss an die kurzweilige Ansprache der Landrätin, etwas Intelligentes zu der ausgestellten Kunst zu sagen. Der Ministerpräsident – erklärter Fan von Jaras Gemälden – hatte wohl etwas Besseres zu tun. Auf der gegenüberliegenden Treppe entdeckte ich die Wismarer Lesebühnenchefin mit ihrem langhaarigen Musikermann. Dann sah ich Connor. Ihre große Gestalt lehnte neben einer der letzten Stuhlreihen an der Tür zum Untergeschoss und
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