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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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Verbindung. Du kannst doch einfach sagen, du hättest heute Morgen das Bad geputzt.«
    »Das wird die Mitschüler ganz bestimmt beeindrucken.«
    »Nur diejenigen, die einen hart arbeitenden Mann zu schätzen wissen. Den Mädchen wird es gefallen.«
    Ich wickelte die Verbände von den Handgelenken ab, holte eine Dose Desinfektionsspray und hielt mitten in der Bewegung inne. Mit den Handgelenken stimmte etwas nicht.
    Ich kehrte zum Behandlungstisch zurück, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Bei der ersten Leiche waren die Hände sauber abgetrennt gewesen – keine Sägespuren, keine Kerben, keinerlei Verletzungen im umliegenden Gewebe. Das linke Handgelenk des Bürgermeisters sah jedoch ganz anders aus. Der Stumpf endete in keiner glatten Schnittfläche, sondern in einem Durcheinander von Haut, Muskeln und Knochen. Es gab zwar einen geraden Schnitt, doch daneben entdeckte ich noch eine zweite Schnittwunde, die schräg durch den Unterarm verlief. Anscheinend war das Tatwerkzeug an der Außenseite des Handgelenks vom Knöchel abgerutscht. Mir kam es so vor, als hätte die Dämonin versucht, die Hand abzuschneiden, die richtige Stelle jedoch verfehlt und es anschließend noch einmal versucht.
    Was hatte das zu bedeuten?
    Ich hatte angenommen, die Dämonin habe Krallen benutzt wie Mr Crowley. Dessen Klauen hatten sich von Knochen nicht aufhalten lassen, er hatte damit buchstäblich alles zerfetzt. Einmal hatte er die Krallen in den Asphalt geschlagen, als wäre es weicher Lehm. Hatte die Dämonin stumpfere Krallen, konnte sie nicht so fest zuschlagen, oder ging sie auf eine ganz andere Weise vor? Was, wenn es nun gar keine Kralle gewesen war, sondern eine Axt? Das fand ich allerdings nicht einleuchtend, denn mit einer Axt hätte man mühelos das Handgelenk durchhacken können, und diese Waffe erklärte auch nicht die Stichwunden im Rücken.
    »Es wird Zeit für dich«, mahnte Mom.
    »Ja«, erwiderte ich abwesend, während ich die Hand unter die Schulter des Toten schob, um ihn umzudrehen. »Ich muss mir etwas ansehen.«
    »Du musst in die Schule.« Sie drückte die Schulter sanft wieder hinunter. »So haben wir es abgemacht.«
    »Aber sieh dir doch mal sein Handgelenk an!« Ich deutete darauf.
    »Das steht auch in Rons Bericht«, entgegnete sie ruhig und schob mich vom Tisch weg.
    »Steht dort auch, wie die Verletzung entstanden ist?«
    »Ab in die Schule!«, befahl sie noch einmal.
    »Aber ich muss es wissen!«, rief ich und schüttelte ihre Hand mit einer heftigen Bewegung ab. Ich atmete schwer und hatte die Zähne zusammengebissen. Sie wich mit weit aufgerissenen Augen zurück, und ich entfernte mich in die andere Richtung, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen. Was war das denn jetzt?
    Ich holte tief Luft. »Tut mir leid.« Ich hatte seit Wochen keinen Wutausbruch mehr gehabt. »Ich gehe jetzt.«
    Mom fing sich wieder und nickte. »Was sagen wir?«
    Ich hielt inne. Es war schon eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal die Mühe gemacht hatten. Ein kleines Ritual zwischen uns beiden, ein Mantra, das ich oft gesprochen hatte, wenn ich das Haus verließ, damit ich die Regeln nicht vergaß. Ich wollte nicht wieder damit anfangen. Allerdings war das immer noch weitaus besser als die Alternative.
    »Heute will ich gute Gedanken denken und jedem, der mir begegnet, ein Lächeln schenken«, sagte Mom gleichzeitig mit mir. Es machte mir Angst, und ich glaube, auch sie erschrak, weil wir so schnell zu den alten Vorsichtsmaßnahmen zurückfanden.
    Ich nahm die Schürze und den Mundschutz ab, warf die Handschuhe weg und wusch mir auf dem Weg nach draußen auf der Toilette die Hände.
     
    Im Rückblick war es dumm, dass ich auf dem Weg zur Schule vor Brookes Haus anhielt. Als ich im letzten Jahr den vorläufigen Führerschein erhalten hatte, war sie jeden Morgen mit mir zur Schule und wieder nach Hause gefahren. So konnte ich sie sehen und mit ihr reden, den sauberen, dezenten Duft riechen, der von ihr ausging. Ich hatte mich über diese Autofahrten gefreut, und dank der Macht der Gewohnheit und aufgrund einer starken Selbsttäuschung kehrte ich am ersten Schultag zu den alten Gewohnheiten zurück. Natürlich sprach sie nicht mehr mit mir, aber sie musste ja trotzdem noch immer in die Schule fahren, oder? Wir hatten die gemeinsamen Fahrten in die Schule nicht offiziell abgesagt, also war die Verabredung genau genommen noch gültig, und selbst wenn sie mit mir zur Schule fuhr, musste sie sich nicht unbedingt

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