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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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sie töten.«
    »Wenn es sein muss, ja. Aber zuerst einmal sollten wir sie verstehen. Bist du denn überhaupt nicht neugierig? Lässt dich das wirklich kalt? Willst du nicht wissen, wer sie sind, warum sie hier sind und warum sie alle möglichen Leute umbringen? Warum verschließen immer alle die Augen davor?«
    »Das Leben ist viel zu kurz.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die Wand. »Zu kostbar. Wir müssen in dieser Welt leben, aber wir sollten uns nicht darin suhlen. Wir müssen unser Leben nicht den dunklen Seiten dieser Welt widmen.«
    »Aber irgendjemand muss sich darum kümmern«, wandte ich ein. »Irgendjemand muss es auf sich nehmen und die Dunkelheit bekämpfen, weil sie sonst niemals schwindet.«
    Sie starrte mich grimmig an. »Aber dieser Jemand muss nicht unbedingt mein Sohn sein.« Tränen traten ihr in die Augen. »Du bist doch alles, was ich noch habe.«
    Dann wandte sie sich um und kehrte ins Bad zurück, und ich betrachtete einen Moment lang den leeren Fleck, wo sie gerade noch gestanden hatte. Ich war keineswegs alles, was ihr noch geblieben war. Sicher, ich war der Einzige, der noch bei ihr wohnte – Dad hatte uns vor neun Jahren verlassen, und meine Schwester Lauren sprach kaum noch mit ihr –, aber sie hatte noch Margaret und … also, irgendjemanden musste sie doch eigentlich noch haben. Mit Lauren verstand sie sich außerdem seit einiger Zeit etwas besser als in den letzten Jahren, das war doch schon mal etwas.
    Oder etwa nicht?
    Ich wandte mich wieder zum Fernseher um. Die Nachrichten wurden gerade durch Werbung unterbrochen, und dann war die Wiese vor dem Gericht zu sehen. Wahrscheinlich waren die Aufnahmen am Morgen gemacht worden, gleich nachdem der Leichnam des Bürgermeisters gefunden worden war. Im Gras lag eine unförmige Gestalt, vermutlich der Tote, und im Rücken steckten zwei lange Pfähle, genau wie bei dem Pastor. An den Pfählen hingen, vielleicht sogar absichtlich dort befestigt, zwei breite Plastikstreifen, die im Wind flatterten. Sie waren voller Blut und wirkten wie künstliche Flügel. Damit endete die Übertragung.
    Brooke wohnte nur zwei Häuser weiter in einem zweistöckigen Gebäude, das mehr oder weniger so aussah wie alle anderen in diesem Viertel – natürlich mit Ausnahme unseres Hauses, weil wir eine Leichenhalle hatten. Ich saß im Auto, das unauffällig am Straßenrand parkte, und dachte über Brookes Haus nach: vorn eine Veranda, in der Mitte die Tür. Dahinter ein langer Flur, der durch das ganze Haus führte. Links das kleine, aber gemütliche Wohnzimmer mit einem Panoramafenster, rechts ein Esszimmer, das hinten in die Küche überging. Dort öffnete sich eine breite Schiebetür zum Hof. Im linken hinteren Teil gab es ein Bad und einen großen Vorratsraum.
    Die erste Etage kannte ich nicht so gut, weil ich dort nie gewesen war, doch ich hatte Crowleys Haus von innen gesehen und konnte mir deshalb die Anordnung der Räume gut vorstellen. Zum langen Flur führte eine Treppe hinauf, vorn rechts lag das Elternschlafzimmer. Die Fenster konnte ich vom Auto aus erkennen, weiße Spitzenvorhänge und ein bisschen Nippes. Auf der anderen Seite des Gangs befand sich ein kleines Schlafzimmer, das vermutlich Brookes Bruder Ethan bewohnte. In der hinteren linken Ecke lag Brookes Zimmer mit einem schönen Ausblick auf den Wald. Das wusste ich genau, weil ich oft im Dunkeln im Wald gesessen und sie durch das hintere Fenster beobachtet hatte. Darüber war ich inzwischen hinaus.
    Nun ja, anscheinend nicht sonderlich weit.
    Ich wusste selbst nicht genau, warum ich zu ihrem Haus hinüberstarrte. Ich sehnte mich nicht nach Gesellschaft – dazu hätte ich bloß meinen Freund Max anrufen müssen. Ich spähte auch nicht in ihr Fenster, ich verfolgte sie nicht, sondern ich … ich dachte an sie und fragte mich, ob sie auch an mich dachte.
    Es war Ende August, und ein leichter Wind sorgte dafür, dass die Luft nicht zu drückend wurde. Ich hatte die Scheibe heruntergekurbelt und den Arm aus dem Fenster gehängt. Er briet förmlich in der Sonne. Irgendwo knatterte ein Rasenmäher. Ohne an etwas Bestimmtes zu denken, betrachtete ich Brookes Haus. Öde und leer lag die Straße vor mir.
    Nach einigen Minuten verstummte der Rasenmäher, und zwei Minuten später tauchte Brooke auf und schob das Gerät aus dem hinteren Hof nach vorn. Als sie eine Ecke der vorderen Wiese erreicht hatte, bückte sie sich und zog am Starterseil. Der Rasenmäher erwachte

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