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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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Lippen, wässrige Augen. Alle redeten darüber.
    Allison Hill war ein ziemlich durchschnittliches Mädchen gewesen, soweit ich es sagen konnte. Besonders viele Freunde hatte sie nicht gehabt, aber sicher mehr als Jenny Zeller. Sie hatte im Chor gesungen, den Tanzkurs besucht und treusorgende Eltern gehabt. Aushilfsweise hatte sie im Buchladen gearbeitet. Ein paar Wochen zuvor hatte ich bei ihr ein Buch von Herb Mullin gekauft.
    Warum brachten sich völlig durchschnittliche Leute um?
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich.
    »Ich weiß«, stimmte Brad zu. »Es ist verrückt.«
    »In schwierigen Zeiten nehmen die Selbstmorde zu«, erklärte ich, »und im letzten Jahr hatten wir es wirklich schwer. Aber warum so junge Mädchen? Sie fallen bei keinem der drei Killer in die Zielgruppe, also kann es keine konkrete Angst gewesen sein, und ich glaube auch nicht, dass sie Verbindungen zu den anderen Opfern hatten. Kannten sich die beiden Mädchen?«
    Niemand antwortete, und ich versetzte mir innerlich einen Tritt. Es ging schon wieder los – ich ließ mich über die technischen Einzelheiten eines Verbrechens aus, und die anderen hielten mich für einen Freak. Rasch blickte ich auf und seufzte erleichtert, weil ich feststellte, dass Rachel in Tränen aufgelöst war und überhaupt nicht zugehört hatte. Brad war höflich, aber nur mit halbem Ohr dabei und vor allem damit beschäftigt, Rachel zu trösten. Als ich geendet hatte, wandte er sich um und kümmerte sich nur noch um sie.
    Nur Marci musterte mich mit dem gleichen Ausdruck wie zuvor. Nicht wertend, nicht aufdringlich. Sie sah mich einfach nur an und dachte nach.
    Brad und Rachel tuschelten miteinander und waren in ein tränenreiches privates Gespräch vertieft. Auch die anderen Schüler unterhielten sich mit gedämpften Stimmen und kämpften mit ihren Gefühlen. Ich beobachtete sie verständnislos und war nicht sicher, wie ich darauf reagieren sollte. Über Allisons Tod war ich nicht traurig, sondern … verwirrt. Wütend. Warum gab ich mich überhaupt mit diesen Dummköpfen ab, wenn sie so wenig Wert auf ihr eigenes Leben legten? Dann sagte ich mir, dass ich nicht so hart urteilen durfte, doch es war schwer, an etwas anderes zu denken.
    Marci zog einen Notizblock aus der Tasche, schlug eine freie Seite auf und schrieb. Als sie fertig war, richtete sie sich auf und lächelte mich an. Es war ein falsches Lächeln. Sie tat verspielt, doch die Augen blieben stumpf und traurig.
    »Ich habe meinen Kandidaten notiert.« Sie riss das Blatt heraus und faltete es sorgfältig zweimal zusammen. »Bist du so weit?«
    »Ich habe noch nicht richtig darüber nachgedacht.«
    »Macht nichts. Wir können ja erst einmal über den hier reden.« Sie reichte mir den Zettel.
    Ich nahm ihn und faltete ihn auseinander.
     
    John Cleaver
     
    Erstaunt blickte ich Marci an und zog die Augenbrauen hoch.
    »Ehrlich?«, fragte ich sie.
    »Ja, ehrlich. Und was deinen Kandidaten angeht, so weiß ich aus gut unterrichteter Quelle, dass ein Mädchen namens Marci Jensen die Schule heute auf keinen Fall ertragen kann.« Ihre Augen wurden feucht, eine kleine Träne bildete sich, und sie blinzelte. »Wähl sie, und wer weiß? Vielleicht haben wir Glück und gewinnen beide.« Sie lächelte, ehrlicher dieses Mal, aber die Traurigkeit verflog nicht. »Wäre ja möglich.«
    Ich sah mich im Klassenzimmer um – ein Durcheinander aus weinenden, verwirrten Schülern, und immer noch kein Lehrer in Sicht, obwohl der Unterricht schon vor fünf Minuten hätte beginnen sollen. An diesem Tag würde in der Schule sowieso nicht mehr viel passieren, nachdem die Neuigkeit über Allison die Runde gemacht hatte.
    »Wohin willst du?«
    »Nur raus hier.« Sie schloss die Augen. »Raus und schnell weg.«
    Die Fenster des Klassenzimmers waren getönt und boten nur einen verschwommenen Ausblick. Das alte Plastik war im Lauf der Jahre vergilbt, und jetzt drang kaum noch Licht hindurch. Der Himmel dahinter kam mir alt und krank vor. Wie das Auge eines Gelbsüchtigen.
    Wir brauchten keine Dämonen. Es spielte fast keine Rolle, wie viele sie getötet hatten, denn wir verstanden uns gut darauf, uns selbst zu töten. Würden sie jemals aufhören? Wäre überhaupt noch jemand übrig, wenn sie aufhörten?
    Und ich war derjenige, der sie herbeigerufen hatte.
    Ich schnappte meinen Rucksack und stand auf. »Lass uns verschwinden.«
     

SIEBEN
     
    Marcis Auto war viel neuer als meins, aber das hieß nicht viel. Sie nahm mich mit zu sich

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