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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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funktioniert viel besser, wenn du mich auch umarmst.« Ich blickte zu den anderen Paaren hinüber, begriff, was sie taten, und legte behutsam die Hände auf Marcis Hüften. Sie waren weich und hatten einen perfekten Schwung, und ich berührte sie nur leicht wie einen Ballon, der jederzeit platzen konnte.
    »Na, wie gefällt dir dein erster Tanz?«
    »Gerade dachte ich noch, es sei auch mein letzter«, erwiderte ich. »Aber jetzt muss ich zugeben, dass es wirklich nett ist.«
    »Das ist es.« Sie kam näher. Wir bewegten uns hin und her, gleichzeitig sehr unsicher und verzückt vereint.
    So nahe wir uns waren, uns trennten dennoch Welten voneinander. Ich hatte nur selten eine echte Verbundenheit mit anderen Menschen gespürt, doch diese wenigen Momente waren mir sehr lebhaft in Erinnerung geblieben: wie ich mit erhobenem Messer vor Mom gestanden, wie ich Brooke in Formans Haus gierig angestarrt hatte. Jedes Ereignis war eine Narbe in meiner Seele, die heftig schmerzte und gleichzeitig aufregend war wie eine wilde Schussfahrt auf der Achterbahn. Zeit meines Lebens hielt ich mich hinter einem dichten Vorhang auf, der keine Gefühle durchließ und mich vom Rest der Welt absonderte. Nur hin und wieder konnte ich den Schleier für wenige Sekunden wegreißen, mich mit anderen Menschen verbinden und meine Gefühle mit ihnen teilen, so wie es jeder normale, empathische Mensch vermochte. Und selbst dann war es noch eingeschränkt – weniger, was die Tiefe der Gefühle anging, sondern im Hinblick auf deren Bandbreite. Es funktionierte nur mit Angst und Kontrolle.
    Marci bewegte sich nun etwas anders und drehte sich, und ohne nachzudenken folgte ich ihr. Ein Schritt vor mit einem Fuß, ein Schritt zurück mit dem anderen. Vorwärts mit einem Fuß, zurück mit dem anderen. Worte waren nicht nötig, wir waren im Einklang. Vielleicht war es Zufall. Vielleicht dachten wir das Gleiche. Vielleicht …
    Vielleicht war es am besten, überhaupt nicht zu denken.
    Vollkommen synchron tanzten wir eine schiere Ewigkeit lang, drehten und bewegten uns und wiegten uns in einer Harmonie, die ich noch nie erlebt hatte. Das war real. Schließlich war der Song vorbei, und ich hielt sie weiterhin fest, wollte sie nicht gehen lassen, wollte die Verbindung nicht verlieren, die mich wie eine Rettungsleine mit dem Rest der Menschheit verband.
    Dann knallte wieder ein schnelleres Stück aus den Lautsprechern, und die Menge jubelte laut. Alle stampften und winkten, bis der Boden bebte. Ich nickte zur Bar auf der anderen Seite hinüber.
    »Können wir den auslassen?«
    »Was?«
    Ich beugte mich vor und spürte ihr Haar im Gesicht, während ich ihr ins Ohr schrie. »Können wir uns was zu trinken holen?«
    »Klar!«
    Wir kämpften uns zur Seite durch und traten geduckt in eine Nische, wo der Krach nicht ganz so schlimm war. Als wir den Getränkestand erreicht hatten, erschien plötzlich Rachel in Tränen aufgelöst und packte Marci an beiden Armen.
    »Rachel, was ist los?«
    Rachel war viel zu durcheinander, um etwas zu sagen. Ich wandte mich zur Bowle um, während sie sich sammelte. Als ich die Schöpfkelle nehmen wollte, kam mir eine andere Hand zuvor – schlank und bleich, und aus den Augenwinkeln bemerkte ich etwas Blaues. Brooke. Wir sahen im gleichen Moment auf und wechselten einen stummen Blick. Sie bediente sich, reichte mir die Kelle und verschwand wieder in der Menge.
    »Der ganze Abend ist ruiniert!«, schluchzte Rachel, während Marci sie vergeblich zu beruhigen suchte. »Das Kleid sieht furchtbar aus, ich habe Salatdressing draufgekippt, und Brad hat die ganze Zeit nur dich angestarrt.«
    »Ach, komm schon.« Marci umarmte die Freundin. »Du siehst klasse aus, und er kann keinen Blick von dir wenden.«
    »Bist du sicher?«
    »Aber klar doch«, bekräftigte Marci. »Du siehst toll aus, er sieht toll aus, und er hat schon im letzten Jahr ein Auge auf dich geworfen. Geh zu ihm und amüsier dich.«
    »Danke«, murmelte Rachel, immer noch weinend. »Ach, wäre ich nur so gut drauf und so hübsch wie du.«
    »Nein, ehrlich Rachel, du siehst super aus.«
    »Du bist wirklich meine allerbeste Freundin. Wäre ich doch nur …« Plötzlich war sie weg, in der Menge verschwunden, und Marci trat dicht an mich heran.
    »Manchmal weiß ich gar nicht, was ich mit dem Mädchen anfangen soll«, seufzte sie. »Sie ist ein Gefühlschaos auf zwei Beinen.«
    »Aber in einem Punkt hat sie schon recht«, wandte ich ein. »Du bist immer fröhlich und immer …

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