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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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geladen und schussbereit, eine Rolle Klebeband und der alte grüne Schlauch aus dem Garten. Ich war bereit.
    Zwanzig nach acht.
    Die Zeit verging quälend langsam. Ich dachte an Marci. An ihr Aussehen, an ihren Geruch, wie es sich angefühlt hatte, als sie sich beim Ball an mich geschmiegt hatte. Ich schloss die Augen und erinnerte mich an die Lippen, weich und fest zugleich, die sie mir begierig auf den Mund gepresst hatte. Was bedeutete sie mir? Und umgekehrt – was empfand sie für mich?
    Alle redeten dauernd über die Liebe, aber ich hatte keine Vorstellung von Liebe.
    Natürlich wollte ich Marci wieder küssen und im Arm halten, sie berühren und neben mir spüren, aber das war keine Liebe. Lust vielleicht. Ich redete auch gern mit ihr, und das hatte mit Lust nichts zu tun. Sie war klug und witzig und interessierte sich für das Gleiche wie ich. Ich beobachtete sie gern und hörte ihr gern zu, ich wollte erfahren, was sie über die Welt dachte. War das Freundschaft? War es Liebe? Ich verbrachte viel Zeit mit ihr und genoss es, aber wenn ich nicht bei ihr war, vermisste ich sie kaum – es sei denn, ich zählte die Träume mit, in denen ich sie einbalsamierte. Sie war nett, aber nicht unbedingt notwendig. Ich ließ sie an meinem Leben teilhaben, wenn ich es wollte, und vergaß sie völlig, sobald ich mich mit etwas anderem beschäftigte. Ich konnte sie ein- und ausschalten wie einen Fernseher.
    Doch noch während ich dies dachte, wurde mir klar, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich vermisste sie tatsächlich, vor allem das Tanzen mit ihr. Das war etwas ganz Besonderes gewesen – nicht der Kuss, sondern der Tanz im Ballsaal –, und ich musste oft daran denken. Es lag wohl an der Art, wie sie sich oder wie ich mich bewegt hatte. Nein, wir hatten uns gemeinsam bewegt, vollkommen synchron, als hätten wir gewusst, welchen Schritt der andere jeweils tun wollte. Natürlich war es kein schwieriger Tanz gewesen, wir hatten uns einfach nur vor- und zurückbewegt … aber wir waren zusammen gewesen. Vereint. Es war nicht die heiße, wilde Verbindung von Gewalt oder Angst gewesen, aber trotzdem hatte sie existiert, stark und unauflöslich. Eine Verbundenheit.
    Als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm, richtete ich den Blick wieder auf den Spiegel. Ein Wagen hatte am Bordstein angehalten. Er hatte sich mit ausgeschalteten Scheinwerfern genähert, und bisher war niemand ausgestiegen. Ich blickte auf die Uhr. War er es? Dann betrachtete ich die Scheiben meines Autos, und mir wurde bewusst, wie beschränkt mein Gesichtsfeld war. Wieder beobachtete ich im Spiegel das andere Fahrzeug und wartete darauf, dass etwas geschah. Die Sekunden verstrichen, weit und breit rührte sich nichts auf der Straße. Um eine Minute vor neun ging die Fahrertür auf, und ein schwarzer Schatten kam zum Vorschein, kaum erkennbar vor Crowleys Haus im Hintergrund. Die Gestalt öffnete den Kofferraum, hob eine große Tasche heraus und ging zum Vordereingang des Bestattungsunternehmens.
    Herzlich willkommen, Handlanger.
    Ich stellte mir vor, wie er den Zettel am Vordereingang las, und hatte schon Angst, er könne gleich weglaufen, doch dann tauchte er wieder auf und schritt die Zufahrt zum Seiteneingang hinauf. Mit angehaltenem Atem hob ich den Autoschlüssel. Er sah sich um, klopfte und wartete. Niemand öffnete ihm. Oben brannte Licht, und auf dem Zettel stand, er solle an die innere Tür klopfen. Noch einmal sah er sich um, ehe er die Tür öffnete und eintrat. Ich richtete mich rasch auf und stieß den Schlüssel ins Zündschloss. Lass ihm Zeit, den oberen Treppenabsatz zu erreichen. Vier, drei, zwei eins. Ich drehte den Schlüssel herum, der Motor erwachte zum Leben, und ich trat aufs Gaspedal. Das Auto tat einen Satz wie ein Raubtier, das zum tödlichen Sprung ansetzt. Ich lenkte es dicht an der Wand der Leichenhalle entlang und zielte auf die Tür, die halb geöffnet war und auf die Einfahrt herausstand. An der Ziegelmauer brach der Außenspiegel ab und flog hinter mir auf den Weg, dann krachte die vordere Stoßstange gegen die Tür und warf sie mit einem Knall zu. Ich trat mit beiden Füßen auf die Bremse und hielt den Wagen gerade. Ein Blick zurück – die Tür war durch den Kofferraum fest verrammelt.
    Jeden Moment würde der zweite Dämon auftauchen. Ich stellte das Getriebe auf Parken, schnappte mir die Pistole, den Schlauch und das Klebeband und lief zum Kofferraum. Niemand griff mich an. Im Flur schrie jemand

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