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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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kaputt und drehte sich ohne Widerstand und ohne den Riegel zu bewegen. Ich zog und zerrte, trat schließlich zu und hörte rings um den zerbrochenen Riegel das Holz splittern. Wie eine kostbare Reliquie hielt ich die Waffe ausgestreckt vor mich, als könne ihre bloße Gegenwart jede Gefahr abwehren. Vorsichtig zog ich die Tür auf.
    Drinnen lag ein Mann in abgenutztem braunem Anzug und mit schwarzen Lederhandschuhen wie ein Zementsack auf der Treppe. Vor den Füßen entdeckte ich eine schwarze Pistole, daneben stand eine offene Reisetasche voller durchsichtiger Plastikplanen. In einer Ecke lag ein kleines Beil. Giftige dünne Rauchwolken zogen durch das Treppenhaus. Hustend wich ich zurück.
    »Sind Sie tot?«
    Als er nicht antwortete, schlich ich abermals zu ihm hin und stieß ihn mit der Fußspitze an. Er schlug zwar die Augen nicht auf, stöhnte und hustete jedoch und wälzte sich auf die Seite.
    »He«, sagte ich, »hören Sie mich?« Wieder bewegte er sich. Mir fiel seine Waffe ein. Ich sprang vor und schob sie mit dem Fuß nach draußen in die Einfahrt. »He!«, sagte ich etwas lauter. »Antworten Sie auf meine Fragen!«
    Der Handlanger hustete und wollte sich aufrichten, sank wieder in sich zusammen und rutschte zum Fuß der Treppe hinunter. Er stöhnte und hielt die Augen fest geschlossen, dann raffte er sich auf und kroch ein Stück in die Einfahrt hinaus.
    Ich wich zurück. »Bleiben Sie liegen. Können Sie reden?«
    »Ja«, krächzte er. Erneut musste er husten, doch es klang etwas kräftiger. »Ja.«
    »Sie behaupten, Sie hätten die Dämonen gesehen«, sagte ich. »Beschreiben Sie sie.«
    »Böse.« Er sprach, ohne sich zu bewegen, das Gesicht lag auf dem Asphalt, mit tiefen Atemzügen schöpfte er frische Luft. »Sie missbrauchen ihre Macht, sie verführen Unschuldige zur Sünde. Sie müssen … vernichtet werden.«
    »Beschreiben Sie ihren Körper!«, verlangte ich. »Haben Sie Krallen oder Reißzähne bemerkt? Sie stecken Pfähle in Ihre Opfer, um ihnen Flügel zu verleihen. Haben Sie Flügel gesehen? Was ist Ihnen aufgefallen?«
    »Keine Flügel«, keuchte er. »Die gibt es nur in der anderen Welt.«
    »In welcher anderen Welt?«
    »Im Himmel und in der Hölle. Dort werden wir unsere wahren Gestalten annehmen und im ewigen Frieden oder in ewigen Qualen leben.«
    Allmählich wurde ich wütend. Unwillkürlich verstärkte mein Zeigefinger den Druck auf den Abzug. »Ist das alles? Wissen Sie wirklich nicht mehr? Sie haben überhaupt nichts gesehen. Sie sind weder Dämon noch Dämonenjäger. Sie sind einfach nur ein durchgeknallter Serienkiller.«
    »Ich bin …«
    »Halten Sie den Mund!«, schrie ich verzweifelt. »Sie sind nichts, Sie täuschen sich. Was ich gesehen habe, war echt. Ja, sie sind echt!« Ich fuchtelte mit der Waffe herum. »Wenn Sie keine Dämonen jagen, warum sind Sie dann hier?«
    »Es gab hier zu viele Todesfälle.« Schwach streckte er den Arm aus. »Ihr wurdet für eure Sünden bestraft. Ich bin gekommen, um euch zu retten und die Fäulnis herauszuschneiden.«
    Ich betrachtete den schwarzen Handschuh, der nach mir zu greifen schien, kaum sichtbar im Halbdunkel. Auf einmal raste mein Herz, und eine neue Hoffnung erwachte in mir. »Ihre Hände«, sagte ich rasch. »Sie tragen Handschuhe, weil Sie Ihre Hände hassen. Zeigen Sie mir den Grund dafür.«
    »Nein.«
    »Ziehen Sie die Handschuhe aus!« Was würde darunter zum Vorschein kommen? Krallen? Schuppen? Irgendetwas musste es sein, er war ganz sicher ein Dämon. Er quälte sich auf den Rücken und blickte hasserfüllt zu mir hoch. Ich wedelte mit der Waffe, und er hob mit einem bösen Knurren die Hände.
    Mühsam zog er einen Handschuh aus. Darunter kam bleiche Haut zum Vorschein, die mit Tätowierungen bedeckt war: Symbolen, Worten, gehörnten Totenköpfen, sogar einem Hakenkreuz. Ich starrte die Hand an und versuchte sie mit dem Täterprofil in Einklang zu bringen, während er leise wimmerte. Er zog den zweiten Handschuh aus und brach danach vollends zusammen. Abermals ein leises Wimmern, die Schultern sanken ein, die Gesichtszüge erschlafften, ein gedehntes Schluchzen. Die zweite Hand war ähnlich tätowiert wie die erste.
    »Vergib mir, denn ich habe gesündigt.« Er wälzte sich auf die Seite und schlug die Hände vors Gesicht. »Vergib mir, denn ich habe gesündigt.«
    Das ist die Quelle der Schuldgefühle, dachte ich und wich zurück. Die tätowierten Hände sind der Grund dafür, dass er mordet – die Male der Sünde,

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