Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Kinder erziehen könne.«
»Die Eltern müßte man erziehen!«
»Diese Elterngeneration ist bereits durch unsere Internate und Tagesschulen gegangen, Mister Snider.«
Snider stöhnte leise.
»Von der Sache, die Sie da erwähnen, habe ich weder in Washington noch bei der Bezirksverwaltung etwas zu hören bekommen. Wer hat die Kommission damals geleitet?«
»Ein Filipino.«
»Ein Farbiger! Ah so. Liegt der Bericht vor?«
»Gedruckt. Wird aber nur an nachweisbar Fachinteressierte ausgegeben.«
»Das dürfte ich immerhin sein. Glauben Sie, daß außer Ihnen noch irgend jemand auf unserer Reservation etwas von dem Untersuchungsergebnis ahnt?«
»Vielleicht das alte Verwaltungspersonal. Miss Bilkins kaum. Mahan sicher.«
»Wieso Mahan?«
»Er hat mich darauf aufmerksam gemacht.«
»Wird ja immer schöner. Und auf diesen Bericht folgte die Ära Holland?«
»Mit einiger Verzögerung, ja. Damals mußte mein Kollege Teacock abgehen, weil er vor Gericht seine eidlichen Aussagen gegen einen indianischen Schüler in leichtfertiger Weise gemacht hatte.«
»Gegen was für einen Schüler?«
»Joe King.«
»Joe King.« Rektor Snider setzte sich in die vorderste der leeren Stuhlreihen. Ball blieb neben ihm stehen.
»Ball, mir wird klar, was für eine prächtige Erbschaft ich hier übernommen habe. – Nebenbei: Was haben Sie für einen Eindruck von dieser Frau, die Mahan sich mitgebracht hat?«
»Eine kluge Frau. Sie gab privaten Nachhilfeunterricht an die voraussichtlichen Abgänger und Sitzenbleiber der fünften Klasse – mit ihrem Mann zusammen.«
»Sie gab… Ball, das sagen Sie mir erst jetzt?«
»Ich habe selbst erst gestern davon erfahren.«
»Erfolg haben die beiden mit ihrem Geheimunterricht jedenfalls nicht gehabt.«
»Das wird sich zeigen müssen, fürchte ich. Mahan hat sich das Einverständnis der Eltern für einen Ferienkurs geholt und will die Schüler zu Beginn des neuen Schuljahres von einer Kommission prüfen lassen. Das denkt er durchzusetzen.«
»Und mich hat er davon nichts wissen lassen? Heimtückisches Volk!«
Rektor Snider stand auf und verwandelte sich dabei vollends. Seine Miene wechselte. Die erschreckte Haltung und der kollegiale Ton waren wie fortgeblasen. Snider ging in den Kampf, denn er fühlte sich verpflichtet, wieder ganz Autorität zu sein. Chester Carr nahm Besitz von ihm.
»Mister Ball! Erstens: Wenn sich bei der Abschlußfeier die geringste Unregelmäßigkeit ereignet, mache ich nicht nur die Schüler, sondern auch die gesamte Lehrerschaft verantwortlich. Zweitens: Mister Warrior wird Clyde Carr das Betreten seines Lehrerhauses verbieten, und zwar sofort. Mit Doppelrollen ist es aus in meinem Schulrevier. Drittens: Morgen verläßt das Ehepaar Mahan Ihr Haus. Diese Indianer haben immer Verwandte, wo sie unterschlüpfen können. Sie haben mich verstanden, und ich erwarte, daß alle Angehörigen des Lehrkörpers noch vor der Feier von meinen Anordnungen in Kenntnis gesetzt werden. Sie übernehmen das, Mister Ball.«
»Yes, Mister Snider, Sie haben angeordnet.«
Rektor Snider schritt dem Ausgang zu, Ball folgte ihm. Der Rektor konnte das Gesicht des Lehrers nicht mehr sehen; Ball gab alle seine Runzeln der Sorge und Enttäuschung frei, so daß sie Stirn und Wangen überziehen konnten.
Vor der Aula trennte sich Ball von Snider und begab sich zu seinem Haus. Er wollte Mahan als ersten verständigen.
Als er an die Tür des Zimmers klopfte, das das Ehepaar zusammen bewohnte, und Mahan ihn herein bat, wurde Ball von innerer Ungewißheit befallen. Immerhin war er selbst es gewesen, der den Rektor über den heimlichen Nachhilfeunterricht informiert und Snider damit in besonderem Maße aufgebracht, seine letzten scharfen Entschlüsse ausgelöst hatte.
Was Ball in dem Zimmer der Mahans zu sehen bekam, hatte er nicht erwartet. Mahan selbst stand bei seinem gepackten Koffer, seine Frau schloß eben den ihren; das Schloß schnappte klickend zu. Cora Mahan richtete sich auf und trat neben Hugh, um Lehrer Ball zu begrüßen in der gleichen stillen, höflichen Weise wie ihr Mann, aus kaum überwindbarem Abstand.
Ball, der eine solche Haltung nach all dem, was die Mahans von ihm wissen konnten, nicht verdient zu haben glaubte, kühlte sein Gewissen ab.
»Sie ziehen aus, Mahan?«
»Yes.«
Mahan holte die Brieftasche aus dem braunen Lederrock, den er trotz der Hitze angelegt hatte und der auch im Koffer keinen Platz gehabt hätte, nahm ein Schreiben heraus und gab es Ball. Es war
Weitere Kostenlose Bücher