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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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elektrischen Strömen aufgeladene Luft vor dem Gewitter.
    Chester Carr persönlich fühlte sich von der natürlichen Hitze nicht gestört. Tiefbrunnen und Wasserspeicher für die Agentursiedlung funktionierten, Dienstwohnung und Büro waren air-conditioned. Aus seiner Heimat im Staat Mississippi war Chester zudem ein drückenderes Klima gewohnt, als die unter steter Luftbewegung liegende Prärie es je erreichen konnte. Was ihn mißmutig machte, waren nicht das Wetter oder die Stimmung anderer Leute, auf die er keine Rücksicht nehmen würde, es waren die Berichte Nick Shaws darüber, daß nicht alle Rädchen im Verwaltungs- und Schulsystem im angeordneten Tempo rollten.
     
    Der Uhrzeiger stand auf neun. Carr saß an seinem Schreibtisch im weißen Hemd, mit phantasielos gestreifter Krawatte. Er klingelte – ein Sprechgerät hatte er noch nicht erhalten – und teilte der an der Tür erscheinenden blonden Sekretärin mit, daß Miss Bilkins und Rektor Snider vorgelassen werden könnten.
    In der Haltung der Eintretenden drückte sich aus, daß sie eine unangenehme Szene erwarteten, daß sie sich nicht so schuldig fühlten, wie Chester Carr sie aller Voraussicht nach machen wollte, daß sie sich aber über ihre eigene Taktik, zuzugeben, zu widersprechen oder Schuld abzuschieben, noch unsicher waren. Ihre Muskeln und Nerven hatten sich zusammengezogen, so daß Snider verklemmter als sonst, Miss Bilkins ihrem Naturell widersprechend eingeklemmt wirkte; die beiden Augenpaare sahen Carr nicht gradlinig an, sondern gradlinig knapp an ihm vorbei; die Hände blieben zwar ruhig, aber hin und wieder bewegte sich doch ein Finger, als ob er noch nicht seine rechte Lage gefunden habe. Wenn Carr etwas sofort zu spüren verstand, so war es die Unentschlossenheit anderer, denen er sich überlegen zu zeigen hatte.
    Der Superintendent breitete Statistiken über die Ergebnisse des abgelaufenen Schuljahres vor sich aus.
    »Ihre Schule, Mister Snider, hat nicht am schlechtesten, aber sehr widerspruchsvoll abgeschnitten. Befriedigendes Ergebnis des Baccalaureats, dagegen unerhört viele Sitzenbleiber und Abgänge aus der fünften Klasse. Was werden Sie tun, um die Ergebnisse dieser Klasse im nächsten Schuljahr zu verbessern?«
    »Nach Möglichkeit einen Lehreraustausch vornehmen.«
    »Sie fahren auf dem falschen Gleis, Snider, wenn Sie die Schuld bei den Lehrern suchen.«
    Snider, seit langen Jahren korrekter Beamter, an Gehorsam im Dienst gewöhnt und neuerdings auch dadurch beunruhigt, daß die Zahl der arbeitslosen Lehrer anstieg, bekam dennoch einen Anfall widerspruchsbereiten Mutes.
    »Die Schüler kann ich nicht austauschen, Mister Carr.«
    Chester Carr lief rot an. »Aber für Disziplin und straffes Lernen können Sie in Ihrer Schule sorgen! Dafür wurden Sie nach der Ära Holland angestellt. Mit Witzen werden Sie Ihre Aufgabe nicht lösen.«
    Snider ersparte sich die Antwort.
    »Als Superintendent werde ich wie üblich bei der Abschlußfeier sprechen. Miss Bilkins, bitte die notwendigen Daten für meine Ansprache. Morgen.«
    »Yes, Mister Carr.«
    »Dieser Mahan, den wir probeweise beschäftigt hatten, wird nicht eingestellt.«
    Snider gab schweigend seine Zustimmung.
    »Im übrigen, Mister Snider, orientieren Sie sich besser darüber, was in den Lehrerhäusern vorgeht. Ich wünsche nicht, daß ein gewisser Clyde Carr dort verkehrt.«
    »Ich bitte um Ihr persönliches Eingreifen als Superintendent, Mister Carr, denn in einem bestimmten Hause kreuzen sich, nehme ich an, die Zuständigkeiten verschiedener Dienststellen.«
    Carr schien dergleichen nicht hören zu wollen, deutete ein Nasenrümpfen an und ordnete die Statistiken wieder in die zugehörige Mappe.
    Da er kein weiteres Thema mehr anschnitt, zogen sich Miss Bilkins und Rektor Snider zurück. Sobald sie im Vorraum die kontrollierenden Blicke der blonden Sekretärin passiert und die Superintendentur verlassen hatten, schauten sie sich zunächst an. Dann zog Snider die Schultern leicht hoch.
    »Ich hatte, offen gestanden, mehr erwartet.«
    »Mehr Tadel, Mister Snider?«
    »Mehr Ansprüche, Vorschläge. Eine gründliche Besprechung in Ihrem Beisein.«
    Snider deutete damit an, daß Carrs Verfahrensweise für Miss Bilkins beleidigend gewesen war. Chester Carr hatte die zuständige Dezernentin nicht beachtet, ihre Meinung überhaupt nicht eingeholt. Miss Bilkins fühlte sich tatsächlich gekränkt, aber sie war weit davon entfernt, das zuzugeben. Sie lenkte ab.
    »Die

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