Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Baccalaureats-Feier wird ohne Zwischenfälle verlaufen, Mister Snider?«
»Ich treffe alle Vorkehrungen. Mahan scheint allerdings sehr beliebt gewesen zu sein.«
»Wer ist der Sprecher der Seniorschüler bei der Abschlußfeier?«
»Jerome Patton. Der Text liegt schriftlich vor.«
Während Snider und Bilkins bei den letzten Worten zu ihren Wagen gingen, saß Chester Carr allein in seinem Dienstzimmer. Auch er blieb unbefriedigt; Gedanken wühlten sich unter die schützende Schale seines Selbstbewußtseins wie Borkenkäfer unter die Baumrinden.
Die spitz formulierte Bemerkung Sniders über »verschiedene Dienststellen« konnte er nicht loswerden. Dieser Pfeil hakte fest. Hatte sich Clyde als agent provocateur verkauft und damit der Machtsphäre des Vaters entzogen? Was war in Snider gefahren! Diese Kreatur wagte Witze und Frechheiten. Das Team lahmte, es war auch im Laufe eines Dreivierteljahres nicht zu der festgeschlossenen, Kampfgeist atmenden Truppe geworden, die Chester Carr sich wünschte. Chester fühlte sich nicht entmutigt, aber zu erhöhten Anstrengungen gereizt.
Der Tag des Schulabschlusses brach an. Er war so warm, daß die Luft flimmerte. Die Aula, in der die Feier für die Senioren stattfinden sollte, war am frühen Morgen besonders gründlich gereinigt worden. Rektor Snider besichtigte den Raum noch einmal mit Ball zusammen und ließ den Blick dabei auch über die Wände des Saales gleiten.
In der unsicher gewordenen Atmosphäre kam dem Rektor die Aussage der Wandmalerei, die den Saal schmückte, zum erstenmal voll zum Bewußtsein. Die Bilder trugen das Signum der Künstlerin Queenie King. In eindrucksvollen, aber nicht auffallenden Farben, die in einem besonderen Verfahren hergestellt waren, wie Ball erklärte, war Leben und Geschichte des Stammes dargestellt: Tipi, Bison, Jagdarbeit der Männer, die Arbeit der Frauen bei den Zelten, die Lehre und Erziehung der Kinder, ihr aufmerksames Lauschen, die achtungsvolle Art, in der der Häuptling zu ihnen sprach. Das nächste Bild in der Reihe zeigte fremde Gesichter, Händler und Unterhändler, Offiziere, Soldaten. Ein Vertrag wurde geschlossen. Die Büffel verschwanden vom Bild. Der Vertrag wurde gebrochen. Hand in Hand gingen die indianischen Waisenkinder, deren Eltern getötet worden waren. Die Arbeit des Mannes war verloren. Mit selbstzufriedenem Gesicht schnitt ein Watschitschun den Kindern die Köpfe kahl. Die Bewohner der Prärie waren ihren Feinden unterworfen.
Rektor Snider ging dreimal rings um den Saal. Sein Schritt verlangsamte sich immer mehr, seine Gedanken aber schienen dabei in immer schnelleren Lauf zu kommen. »Unerhört«, kam es endlich aus ihm heraus. »Daß mir das noch nie aufgefallen ist! Diese Bilder wurden in der Ära der Direktorin Holland angefertigt?«
»Ja.«
»Und natürlich von Missis King. Zum mindesten muß ein Abschlußbild der Versöhnung und Zivilisierung oberhalb der Bühne angebracht werden. Haben Sie einen Vorschlag, Ball?«
»Ein Mitglied des Stammes ist Olympiasieger geworden. Vielleicht sein Porträt.«
»Wir müssen nach der Feier sofort darüber sprechen. Glauben Sie, daß die Schüler die aggressive Aussage der Bilder begreifen?«
»Es hat sie noch niemand darüber befragt.«
»Kein Wunder jedenfalls, wenn sich unter dem Eindruck einer solchen Bildwandzeitung schon bei den Jüngsten eine verbissene Abwehr verbreitet. – Was sagen Sie übrigens zu den Ergebnissen Wymans in der fünften Klasse, Ball? Ganz unter uns?«
»Ich habe den Eindruck, daß ein Protest organisiert wird.« Snider hatte mit seiner Frage eine sicher wirkungslose, daher ungefährliche, aber immerhin ihm gegenüber offene Kritik an Wyman herauslocken wollen; als er jedoch das Wort »Protest« hörte, schlug seine Stimme sofort und völlig um. Er brach seinen Rundgang durch den Saal ab, blieb stehen und schaute Lehrer Ball entsetzt an.
»Protest! Das fehlte uns noch. Bei Reservationsindianern hat es dergleichen doch glücklicherweise noch nie gegeben.«
»Täuschen Sie sich nicht, Snider. Bereits vor zwei Generationen hat ein Schulstreik bei den Navajo stattgefunden wegen eines ausgeschlagenen Auges und eines abgerissenen Ohrs. Und hier an unserer Schule ist auf Veranlassung des Büros in Washington schon einmal eine internationale Kommission erschienen, um die Erziehungsschwierigkeiten bei Indianern zu untersuchen. Das Ergebnis des Berichtes war nicht ganz das erwünschte. Man müsse erst die Lehrer erziehen, ehe man die
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