Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
würdig handeln, mutig und beherrscht sein und lernen? Dann sagt ja zu uns.«
»Ho-je«, erklang es fünfzehnmal.
Ein Junge trat als Sprecher vor.
»Wenn wir lernen können nach der alten Art unseres Stammes, wird es leichter für uns sein. Unsere Väter und Mütter haben zugestimmt, und wir vertrauen Wasescha. Die weißen Männer haben ihn fortgejagt, er gehört wahrhaftig zu uns.«
»Ihr seid elf, zwölf und dreizehn Jahre alt«, antwortete Morning Star. »Eure Vorfahren haben in diesem Alter schon den Vätern und Brüdern bei der Jagd auf kleines Wild geholfen und sich auf die Büffeljagd vorbereitet. Die Mädchen lernten schon, ein Zelt zu versorgen. Ihr seid nicht weniger reif, als sie einst waren. Unsere besten jungen Männer wollen jetzt einen Tanz für euch tanzen, einen Kriegstanz. Wie sie sollt ihr euch dann wehren – alle zusammen und jeder einzelne von euch – und euch behaupten gegen alle Gefahren, auch gegen die in euch selbst. Ich habe gesprochen.«
Die Trommel dröhnte unter den Schlägen, und die besten der Einzeltänzer traten gemeinsam zum Kriegstanz an: Inya-he-yukan, Wasescha, Morning Star der Jüngere, Ken, Andy Tiger. Sie legten die Röcke ab wie ihre Vorfahren im Kampf. Sie drehten sich um sich selbst wie Männer, die von allen Seiten angegriffen werden und sich nach allen Seiten verteidigen müssen; sie schlugen, drohten, stampften und duckten sich, sie waren schnell und immer schneller, um sich keine Blöße gegen die unsichtbaren Feinde zu geben. Ihnen wurde heiß, und ihre Augen brannten. Es war ein prächtiger Anblick im letzten Schein des Abendgoldes am Himmel, braunhäutige, harmonisch gebaute Körper, starke Farben – das Rot, das für Lebensblut, Erde und Morgen stand, das Blau des Himmelstages, das Gelb des Lichtes –, gesammelte, geformte, bewegte Kraft im Tanz, dazu der Zusammenklang der dumpf erdröhnenden Trommel mit dem hellen Schrillen der Sängerstimme; es war wie ein Lautwerden und Lichtwerden von Fels, Wald, Nacht, Prärie. Ein Tanz war es, ein Gelöbnis, ein Gebet für die Jugend des Stammes.
Wer zusah und zuhörte, ließ alles in sich hineinfließen und schöpfte daraus eigene Kraft.
Die Tänzer tanzten für die ganz Jungen und für sich selbst. Andy Tiger tanzte aus dem Schatten seiner unheilbaren Krankheit heraus noch für das Licht, für die Erkenntnis, die sein ganzes Volk einigen sollte. Ken sprühte Zuversicht in eine kommende Tat, er träumte und tanzte ein Fanal zum Aufbruch. Inya-he-yukan, Wasescha und der junge Morning Star verteidigten die Erde, die dem roten Mann noch geblieben war, und die Jugend, die auf solcher Erde heranwuchs. Wie ein junger Elch stampfte und kämpfte Inya-he-yukan. Wasescha zerriß Fesseln, die letzten, die ihn noch gebunden hatten, und hob die Hände, um sich und andere zu schützen. Der junge Morgenstern fühlte sich stark und sicher mit solchen Kämpfern zusammen.
Die fünfzehn Schüler, die beieinander saßen, gaben einander die Hände zu einer Kette, die nicht reißen sollte. Die sechzehn, die das Baccalaureat bestanden hatten, erhoben sich und standen wieder in einer geschlossenen Gruppe, nicht mehr in schwarzen Mänteln und Baretts, sondern in ihren indianischen Gewändern.
Als die Trommel endlich verklang, war noch ein einziger Tänzer im inneren Kreis, Andy Tiger. Am leidenschaftlichsten und wütendsten von allen tanzte er. Plötzlich brach er zusammen. Lang gestreckt lag er im Grase. Seine Züge waren fahl, seine Glieder schlaff, die Augen halb geschlossen; er atmete kurz und schwer. Tashina und Inya-he-yukan bemühten sich um ihn. Als die dringendste Gefahr vorüber schien, trugen sie ihn zur Seite und betteten ihn auf Decken.
»Tanzt weiter«, bat er sie, »noch ist meine Stunde nicht gekommen.«
Man tat nach seinem Wunsch.
Es folgte wieder ein friedlicher Tanz in der großen Runde, an dem auch Frauen, Schüler und Kinder teilnahmen, und Morning Star senior verkündete, daß der Tanz der Ehre Waseschas und Magasapas gelte, die harte Jahre durchgestanden hatten und zu ihrem Stamm zurückgekehrt waren. Magasapa senkte den Kopf, um zu verbergen, daß sie vor Freude weinen wollte. Der letzte Tanz galt Tishunka-wasit-win, die die Augen geschlossen hatte, um vielen anderen die Augen zu öffnen. Wakiya-knaskiya führte an zusammen mit dem Mädchen, das den Namen Elwe trug und Tishunka-wasit-win immer ähnlicher zu werden schien. Die Sommernacht war hereingebrochen, und es war sogleich kühl geworden. Der Wind zog
Weitere Kostenlose Bücher