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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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von weit her herbei und weit hin fort durch die Kronen der Kiefern, um die kahlen Gipfel. Die feierliche Runde löste sich auf. Man sprach miteinander, lachte miteinander, flüsterte miteinander. Die fünfzehn sammelten sich um Wasescha, Magasapa, Inya-he-yukan und Tashina und berieten mit ihnen. Das Waisenkind Elwe durfte Tashinas Tochter werden, so versprach diese ihr. Der Waisenjunge und die drei Kinder, deren Väter vom Geheimniswasser der Watschitschun vergiftet waren, sollten bei Melitta Thunderstorm ein Heim finden. Da Melitta mit Bob, der nun im Gefängnis saß, die Schulranch geleitet hatte, besaß sie noch ein Haus mit drei Räumen, groß für ein Indianerhaus. Wasescha und Magasapa fragten die beiden trotzigsten der Schulabgänger, ob sie in ihrer Hütte und ihrem Zelt wohnen wollten den Sommer über, für die Zeit des Nachlernens. Es waren Brüder, zwölf und dreizehn Jahre, zwei unter elf Geschwistern, die mit den Eltern in der Blockhütte auf einer kleinen Ranch lebten. Die beiden Buben waren es, die die Schule der Watschitschun haßten und von Mister Wyman bestens gehaßt und verfolgt worden waren. Die zwei überlegten und sagten dann schon mit männlicher Stimme: »Ja.«
    Manche Familien machten sich nun auf den Rückweg zu den Wagen, andere Teilnehmer wollten bei der Festwiese bleiben, noch manches besprechen und endlich, in Decken gehüllt, im Freien schlafen. Inya-he-yukan und Tashina entschlossen sich, mit diesen auf der Wiese zu nächtigen.
    Hugh Wasescha ging mit Cora Magasapa von der Festwiese aus einen kleinen Waldpfad, dessen unter Gestrüpp verborgenen Anfang Inya-he-yukan den beiden gewiesen hatte. Der Pfad war steinig, steil, ungepflegt; er führte zwischen Kiefern durch Krummholz in das Felsengestein hinein um den Berg herum und endete auf einem Standplatz, der von einer hartholzigen, im bröckelnden Fels tief verwurzelten Kiefer wie von einem Wachtposten geschützt wurde. Hier hielten Wasescha und Magasapa an. Sie konnten hinunterschauen auf bewaldete Hügel in weitem Umkreis, darüber hinweg in die im Nachtdunkel verschwimmende Ferne der Prärie, hinauf zum Mond, der seine Bahn weiter gezogen war. Hinter ihnen am Hang öffnete sich der Fels. Es war einer der versteckten Eingänge zu jenen noch unerforschten Tiefen einer vielarmigen Höhle, deren einen Anfang die Watschitschun gefunden und ein Stück weit für die Neugier der Touristen erschlossen hatten. Aber der Platz, an dem Wasescha und Magasapa standen, war unbekannt geblieben, und dieser geheime Eingang der uralten Höhle war die Stelle, zu der seit je junge Krieger gegangen waren, um zu fasten und über sich selbst nachzudenken. Da die Gedanken Waseschas und Magasapas zu allen jenen liefen, die hier mit sich selbst und mit Wakantanka, dem großen Geheimnis, gerungen und gesprochen hatten, so schienen deren Gedanken und Willen wieder lebendig zu werden und die Jungen zu umgeben, die ihr Leben und ihr Denken fortführen wollten. Wasescha und Magasapa gingen in die Höhle hinein. Wasescha schlug die Decke um seine Frau, wie er es im fernen Norden bei der ersten Begegnung getan hatte, und sie schliefen beieinander wie Freunde, die von der gleichen Hoffnung und dem gleichen Mut getragen wurden. Als sie geruht hatten und am frühen Morgen erwachten, setzten sie sich, ein jeder für sich, auf den Platz neben der Kiefer und träumten, auch ein jeder für sich, ohne miteinander zu sprechen und ohne einander anzusehen; sie träumten nicht flatterhaft, sondern streng mit sich selbst ins Gericht gehend, alles durchdenkend, was geschehen war und was kommen würde. Mit ihrer eigenen und mit der folgenden Generation konnte für ihr Volk alles gewonnen oder alles ausgelöscht sein. Sie standen an einer Wende, das wußten sie, so wie einst ihre Väter im blutigen Kampf um Heimat und Freiheit, der verloren und doch nicht aufgegeben war, weil der alte Wille fortzuwirken vermochte.
    Wasescha und Magasapa brauchten einen Tag vom Morgen bis zum Abend, um zu denken und die Geheimnisse besser zu erkennen. Sie sprachen nicht, aßen nicht und tranken nicht.
    Erst als der Abend wieder hereinsank, die Sonne hinter den Felsen schwand, die Kiefernwipfel sich im Wind bewegten und Fledermäuse flatterten, sobald die Luft wieder kühl wehte, die Vögel schlafen gingen und es endlich rings stille Nacht wurde, rührten sich Wasescha und Magasapa. Sie erhoben sich, grüßten einander und fanden ohne Mühe den Pfad zurück, den sie gekommen waren. Doch ehe sie die

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