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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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werden also arbeitslos sein! Nun – im Herbst wird gewählt, und wir hoffen auf einen neuen Stammesrat.«
    »Wir? Was heißt ›Wir‹?«
    »Freunde der Gerechtigkeit und einer entrechteten Minorität.«
    »Cargill, in Amerika gibt es Amerikaner, aber keine Minoritäten.«
    »Sagen wir. In Wahrheit haben wir uns Minoritäten geschaffen, weil wir Weiß, Schwarz und Rot unterscheiden, Englisch und Spanisch und weil wir nur einen Typ und eine Sprache gelten lassen wollen: Weiß und Englisch. Von daher stammt unsere Barbarei.«
    »Von daher stammt die Kraft unserer Nation, die alle Zuwanderer integriert.«
    Cargills blasses Gesicht wurde wieder lebensfarben.
    »Ball, ich sehe, daß Sie nicht Kompromisse schließen, sondern falsche Ansichten haben. Die Indianer sind nicht zugewandert, sondern eingeboren; wir haben sie in Reservationen eingesperrt und damit als Volk erhalten. Die Neger sind verschleppt, und die Spanier sind erobert. Wir müssen die Probleme endlich begreifen, wie sie sind.«
    »Cargill! Was ist in einem Jahr aus Ihnen geworden? Sie machen mir Kopfweh, das mich am Nachdenken hindert.«
    »Umdenken ist immer schmerzhaft, Mister Ball. Das weiß ich.« Cargill setzte sich nun doch. Seine schmale Figur, der fragende und bittende Blick, den er auf den von ihm persönlich verehrten Kollegen und Senior der Lehrerschaft warf, ließen ihn trotz der Entschiedenheit, mit der er seine Ansichten vortrug, bescheiden wirken.
    Ball steckte sich eine Zigarette an; Cargill lehnte dankend ab, er rauchte nicht.
    »Ich will Ihnen gestehen, Cargill, daß ich Ihnen die Äußerung ›Clyde Carr hat recht‹ nicht abnehme. Was Sie jetzt gesagt haben, das klingt nicht nach Clyde; das klingt präzise und logisch. Das ist Hugh Mahan. Habe ich recht?«
    »Sie haben recht, Mister Ball. Ich bin der Meinung, daß ein Mann mit solchen Ansichten an unserer Schule wirken kann. Denn Minoritäten werden um so loyaler sein, je ungehinderter sie ihr Menschenrecht genießen. Die Indianer sollen als Soldaten für unser Land sterben, also müssen sie in unserem Land auch ihr eigenes Recht zum Leben erhalten.«
    »Solche Probleme sind ein weites Feld, Cargill.«
    »Das sind Entscheidungen heute und hier, Mister Ball.«
    »Sie sind außer sich, Cargill. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sind von Natur ängstlich, aber der Zorn ist mit Ihrer Psyche aus Ihrer alten Haut hinausgefahren. Ich bewundere Sie, offen gestanden, aber ob Sie im gegebenen Augenblick das Richtige tun, ist für mich eine andere Frage.«
    Cargill nahm den Brief wieder an sich.
    »Sie unterschreiben also nicht, Ball. Mich trifft das, denn ich schätze Sie hoch. Aber jeder von uns muß jetzt Stellung beziehen. Unsere Nation spaltet sich im großen und im kleinen. Und was ist überhaupt groß, was klein? Ein einziges Kind, aus dem eine Persönlichkeit werden kann, ist etwas Großes!«
    »Cargill, falls es zu einem Skandal kommen sollte, können Sie gewiß sein, daß ich, befragt, mit keiner Lüge antworten werde.«
    »Ball, das ist ein Wort. Ich habe mich doch nicht in Ihnen getäuscht.«
     
    Während die Diskussionen in den Lehrerhäusern und in der Agentursiedlung liefen, befand sich eine Karawane über und über besetzter Wagen auf der Straße zu den bewaldeten Hügeln jenseits von New City. Joe an der Spitze sorgte für ein mäßiges Tempo.
    Die erst sanft, fast unmerklich zum Abend neigende Beleuchtung über Himmel und Erde ließ die braun-graue Prärie in allen ihren Wellen deutlich werden. Die fernen Waldhügel tauchten aus dem verschwimmenden Horizont auf und hoben sich vor dem Auge höher und höher. Die Sonne stieg herab, ihre Strahlen verloren die sengende Kraft und grüßten mit schillerndem Licht. Über die Grenze zwischen Himmel und Erde leuchtete das goldene Gelb auf, in das die Abschied nehmende Sonne hineinsank.
    In den Wagen blieb es still. Kein Geschwätz störte die Fahrer, deren Platz von ihren Gästen beengt war. Die wenigen Fahrzeuge, die den Konvoi überholen wollten, taten es ohne Mühe, denn es gab so gut wie keinen Gegenverkehr auf der gewählten Straße. Die Vorüberfahrenden warfen erstaunte Blicke auf die Karawane der Indianer, und wahrscheinlich lächelten sie mitleidig über die Mischung von schnellen Sportwagen und uralten, überholungsbedürftigen Fahrzeugen. Wer unter den Vorüberfahrenden schon im Westen gewesen war, erklärte wohl der Familie oder den Fremden, daß Indianer in solchem Haufen sich zu einem Pauwau, zu einer Schaustellung ihrer

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