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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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verging für alle schnell.
    Mahan hatte sich den ganzen Tag über gelöster und froher gezeigt, als ihn bis dahin jemand gesehen hatte, und auch dieses Fluidum war auf die Schüler übergegangen. Tatokala hatte durch Hugh von ihren Brüdern erfahren. Sie hatte heute häufig den Aufschlag beim Tennis gegen ihn gewonnen und war endlich unter den Augen der erregt folgenden jugendlichen Zuschauer nur mit 5 : 6 unterlegen.
    Mahan spielte mit der linken Hand. Das hatte sie bis dahin verwirrt, aber nun gewöhnte sie sich daran. Vielleicht übertraf sie sich auch selbst, weil sie daran dachte, daß ihre Brüder bei Mutter Mahan wohnten. In neun Monaten bestand sie das Baccalaureat, dann konnte sie das Internat verlassen. Sie dachte nicht weiter nach. Sie empfand es nur als Gewinn, daß nun auch sie wieder ein Zuhause habe. Die Angst um das Verlassensein, die sie wie eine Zwangsjacke getragen hatte, konnte sie ablegen. Sie war freier geworden. Mutter Mahan! Auch Hugh Mahan würde manchmal nach Hause kommen. Sie schwärmte für ihn, so sagte sie zu sich, um ihr verletzbares Gefühl sogar vor sich selbst zu bedecken und ganz im verborgenen die köstliche scheue erste Liebe durch Körper und Seele schwingen zu lassen. Jeden Schulmorgen erwachte sie mit dem Gedanken an den Sportnachmittag.
    Der Montag war im Internat noch von der frohen Stimmung des Sonntags erfüllt. Für Mahan aber deutete sich eine neue Auseinandersetzung an, denn er war Wyman in der Pause begegnet, und alle Assoziationen, die sich für Mahan mit diesem Namen verbanden, waren mit einem Schlage wieder lebendig. Er hatte den Eindruck, daß bei Wyman die gleiche Reaktion eingetreten war.
    Mittwoch nachmittag endete der Unterricht um 3 p.m. und die allwöchentliche Lehrerkonferenz schloß sich an.
    Hugh und Ron ließen den Rektor und die Lehrer vorangehen und traten als letzte in den langgestreckten Raum ein, in dem aus unerfindlichen Gründen noch immer das Bild des ermordeten Präsidenten Kennedy hing.
    Snider nahm mit dem Rücken dagegen Platz; er präsidierte am langen Tisch. Ein leises Stühlerücken, dann saßen alle Lehrer; Ron und Hugh hatten am unteren Tischende Platz genommen. Es gab zwei neue Krankmeldungen und somit neue Vertretungsfragen. Ball und Miss Hay erklärten sich bereit einzuspringen; der Rektor dankte, er war mit diesen beiden zufrieden.
    Der nächste Beratungspunkt war die Seniorenklasse.
    Wyman, der links des Rektors saß, Ball gegenüber, meldete sich sofort zu Wort.
    Mahan betrachtete ihn aus der Entfernung, den Rundkopf, das starke Kinn, das Fischmaul, die wasserblauen Augen, das mit Spray glattgelegte Haar. Ein schwacher Duft eitlen Geruchs ging davon aus.
    Wyman hatte zu sprechen begonnen, verbreitete sich und schloß: »Ich habe diese Schüler nicht in der elften Klasse gehabt. Sie sind fast ohne Ausnahme faul, interesselos, widersetzlich und unwissend. Jeder dritte wird im Baccalaureat durchfallen, das garantiere ich Ihnen, Mister Snider. Und das alles, weil es heutzutage nicht mehr möglich ist, mit den hier geeigneten Mitteln durchzugreifen.«
    »Mister Wyman!« riefen Snider und Ball fast wie aus einem Mund, und Snider fuhr, sichtbar entsetzt, fort: »Mister Wyman, sie kennen die Schwierigkeit, unsere Schüler überhaupt bis zur zwölften Klasse durchzubringen. Wir hatten im vergangenen Jahr einen Abgang von fast 35 Prozent nach der fünften Klasse, von weiteren 20 Prozent nach der siebenten Klasse, von weiteren 15 Prozent nach der zehnten, von der Zahl der Sitzenbleiber gar nicht zu sprechen. Und das ist noch ein bedeutender Fortschritt gegenüber den Zeiten der von Ihnen zitierten ›geeigneten Methoden‹. Damals kamen die meisten Schüler nicht über die fünfte Klasse hinaus. Es kann einfach nicht wahr sein, was Sie zuletzt gesagt haben.«
    »Ah?« Wyman wurde personifizierter Hohn. »Kann nicht wahr sein? Es ist aber wahr, Rektor Snider.«
    »Dann würde ich Sie allerdings bitten, alle Ihre pädagogischen Fähigkeiten einzusetzen, um den Zustand bis zum Baccalaureat noch zu ändern.«
    »In einem Jahr aufholen, was in elf Jahren versäumt worden ist? Sie stellen erstaunliche Forderungen, Mister Snider. Wenn Sie eine Seniorenklasse haben wollen, in der niemand durchfällt, dann hätten Sie am Ende der elften Klasse bereits aufräumen müssen.«
    »Mister Cargill!« sprach Snider den bisherigen Klassenlehrer der elften Klasse an.
    Cargill, zart von Statur und allein schon durch die massiv-brutale Körperlichkeit Wymans

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