Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Element?«
»Nein. Verwirrt. Eine einmalige Verfehlung, verständlich motiviert.«
»So. Und wo nun hin mit ihm?«
»Muß man sehen. Ich kümmere mich darum. Gehn wir mal hinüber?«
Doc Grover machte sich mit Mahan auf den Weg.
Iliff, noch nicht ganz neun Jahre alt, lag im Isolierzimmer, da der Arzt mit seinem baldigen Ableben rechnete.
Als Grover und Mahan eingetreten waren, blieben sie stehen, ohne etwas zu sagen.
Gerald saß auf dem weißen Bett in dem weißgetünchten schmucklosen Raum, der wie ein weißer Kindersarg wirkte. Iliff hatte seine fleischlosen Arme um den Nacken des großen Bruders geschlungen und sein Gesicht an dessen Schulter verborgen. Er klammerte sich eng an. Die Eintretenden hatte er noch nicht bemerkt.
Das Kind sagte irgend etwas, verborgen, gepreßt, es war auch für Mahan nicht zu verstehen.
Gerald hatte den kleinen Bruder umfaßt und strich ihm sanft über Kopf, Schulter und Rücken. Feindselig schaute er hinüber zu Doc Grover. Er haßte.
Der Arzt machte eine schwache Handbewegung, Zeichen der Ratlosigkeit. Seine Kunst nützte nicht mehr.
»Darf er ihn mitnehmen?« fragte Mahan.
Doc Grover war überrascht, überrumpelt.
Gerald zog Iliff fest an sich.
»Aber wohin?« fragte der Arzt. »Ich kann es nicht verantworten.«
»Es ist kein Risiko, Doc, denke ich. Den Tod müßten Sie auch hier verantworten.«
»Aber wohin? Ich bitte Sie.«
»Zu meiner Mutter. Sie wird das Kind aufnehmen. Es ist eine psychische Frage, Doc.«
»Ich muß das überlegen und beantragen, Mister Mahan. Es ist unklar, ob die Kinder noch Reservationsangehörige sind. Deshalb liegt der Kleine ja auch hier.«
»Die Schwester ist im Reservationsinternat.«
»Ach so?«
»Ja. Doc – wenn Sie das Waisenkind jetzt von seinem wiedergefundenen Bruder losreißen, überlebt er diesen Schock nicht mehr. Das wissen Sie selbst noch besser als ich. Geben Sie es uns mit. Ich setze mich dann mit unserem Hospitalarzt in Verbindung. Oder Sie telefonieren gleich mit Eivie.«
Grovers Gehirn glitt in die Lenkströme von Mahans Willen. »Das – ja, ganz recht, Mister Mahan – ich werde auf alle Fälle telefonieren. Warten Sie hier.«
Grover verschwand. Mahan blieb im Zimmer.
»Wasescha«, sagte Gerald mit trockener Zunge und ausgetrocknetem Gaumen, »damit du es weißt. Ich nehme ihn mit, oder ich bringe uns beide um. Ich habe gesprochen.«
Die Warteminuten waren zeitlos wie Ewigkeit. Iliff schien an Geralds Schulter einzuschlummern. Gerald rührte sich nicht, sagte auch nichts mehr.
Doc Grover kam erst nach einer halben Stunde zurück. Papiere in der Hand.
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange habe warten lassen.« Die Worte wirkten angesichts des fast leblosen Kindes nur wie leeres Geklingel, selbst wenn es ein freundliches Läuten sein sollte. »Eivie ist einverstanden, auch damit, daß das Kind erst einmal zu Ihrer Mutter kommt, Mister Mahan. Ich habe gleich alles fertiggemacht. Sie können eine Decke mitbekommen. Gelegentlich zurück, bitte.«
Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Gerald trug Iliff hinunter, ohne daß das Kind sich noch einmal rührte.
Ball wartete schon in seinem Wagen auf dem Parkplatz gegenüber dem Hospital und fuhr jetzt vor.
Mahan ging zu ihm und erklärte ihm kurz die Situation.
»Sie laden sich allerhand auf, Mahan. Einen Strafentlassenen und ein sterbendes Kind. Wird Ihre Mutter einverstanden sein?«
Mahan verschlug es einen Augenblick die Sprache. »Ah – «, sagte er dann, »daran haben Sie gezweifelt?«
Die Fahrt zur Reservation brauchte Stunden. Es dämmerte und dunkelte. Die Tage waren in dieser Jahreszeit schon kurz. Mahan fuhr von der Straße, die er eingeschlagen hatte, bald auf Seitenwege, aber endlich gab es überhaupt keinen fahrbaren Weg mehr. Es war schon Nacht.
Einen Jeep hätte ich mir kaufen sollen, dachte er.
Er parkte den Wagen an einer geschützten Stelle, schloß ab und steckte den Schlüssel ein. Das Paket Fleisch, das Ball eingekauft hatte, nahm er in einer Schulterriementasche mit. Die letzte Strecke mußte er mit Gerald zu Fuß laufen, das Gelände war für einen Wagen zu uneben und zerrissen. Gerald trug das Kind, und obgleich es leicht war, fielen ihm die Last und das Laufen bald schwer. Vielleicht war es auch nicht die Anstrengung oder nicht nur die Anstrengung, die ihn hinderte. Er keuchte. Sein Herz wollte nicht mehr. Er blieb stehen und rang um Luft. Mahan nahm ihm vorsichtig das Kind ab und legte seine Wange an Iliffs schmales
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