Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
beschlossen, in der kommenden Nacht sein Lager mit Tashina zu teilen.
Hugh Wasescha wollte schon am Abend zur Schulsiedlung zurückfahren. Aber Oiseda hatte unterdessen begonnen, Stangen und Plane des großen Zeltes herbeizuschleppen, das aus dem Besitz von Inya-he-yukans Ahnherrn stammte, und Hugh Wasescha konnte nicht umhin, ihr zu helfen, obgleich das Aufstellen des Zeltes nach alter Tradition als Frauenarbeit galt. Hetkala war auch sogleich zur Stelle und löste ihn ab.
Er sah also zu, und als das Zelt stand, als die Decken auf dem Boden ausgelegt, als alte und neue Jagdbeutestücke an den Stangen aufgehängt waren, brachte er das Feuer in der Zeltmitte in Gang. Der Rauch zog durch die Spitze ab. Oiseda richtete zwei lange Spieße und steckte Fleischstücke daran.
Es sollte an diesem Abend im Zelt gegessen werden. Es war ein altes Häuptlingszelt mit vielen Stangen, und die achtzehn Personen hatten leicht Platz darin. In kleinen Gruppen fanden sich allmählich alle ein. Mahan hatte nach Wakiya Ausschau gehalten. Er kam vom Friedhof auf den im Gras sichtbaren Fußspuren zurück; Hetkala hatte ihn begleitet.
Die Mahlzeit für die vielen Menschen war für jeden nur karg, obgleich Familie Patton und Hugh beigesteuert hatten, aber der Fleischbrocken vom Spieß schmeckte köstlich auf der Zunge, und die Mehlklöße erschienen erträglicher als sonst.
Den Abschluß des gemeinsamen Abends bildeten Inya-he-yukans Erzählungen von seinem Ahnen Inya-he-yukan dem Älteren, der jung gewesen war, als der Stamm um seine Freiheit kämpfte und sie verlor. Endlich fragten die Gäste nach der Geschichte der Jagdtrophäen, nach den Begegnungen mit Elch, Graubär und Adler. Oben im Norden, in den Wäldern Canadas gab es noch die Jagdreviere nach Stonehorns Sinn, und auch Hanska und Wakiya hofften, mit ihrem Pflegevater zusammen wieder dorthin zu reisen. Als das Wort Canada fiel, dachten alle an Robert Yellow Cloud. Vielleicht schlief er jetzt erschöpft in der Wildnis, während ihm der böse Rauch eines noch immer brennenden Waldes in die Lungen zog.
Es gab sich von selbst, daß Hugh Wasescha, Irene Oiseda, Wakiya, Hanska und die drei jüngsten Kinder ihren Platz für die Nacht im Zelt behielten. Wasescha, Wakiya und Oiseda holten sich die alten Dreifüße. Sie dienten als bequeme Kopfstütze.
Wasescha träumte in dieser Zeltnacht.
Der Wind tanzte um die Plane; draußen rührten sich Pferde halb im Schlaf, es roch nach Leder, verglimmendem Holz und Fleisch am Spieß. Die Felldecke schützte vor der nach Mitternacht eindringenden Kälte.
Ikagiya kam zu Wasescha. Ihr Körper schmiegte sich an den seinen, der Traum war bunt und warm, er war Ahnung und köstliche Hoffnung und hatte eben darin eine erfüllende Kraft. Aus dem halben Schlummer glitt Wasescha wieder in den tief versenkenden hinüber, in den kein Traum mehr gelangte.
Als er vor der Dämmerung erwachte, sah er Oiseda mit offenen Augen auf ihrem Lager liegen. Sie strich die Haare mit den Händen glatt und verschränkte die Arme hinter dem Nacken; ihre Brust spannte sich. Ihre Lippen schienen voller. Sie hatte noch nicht mehr als zweiundzwanzig Sommer gesehen. Lange blickte sie zur Zeltspitze hinauf, an der die Windklappe sich drehte. Schließlich verließ sie ihr Lager und ging vor das Zelt, und da sie Wasescha dabei mit ihren schwermütigen Augen angesehen hatte, folgte er ihr.
Die Nacht wollte noch nicht weichen; Sterne leuchteten, und der Mond stand am Himmel. Die Hunde lagen zusammengerollt; hin und wieder knurrten sie und zuckten.
Hugh Wasescha und Irene Oiseda standen zwei Schritte voneinander entfernt. Beide blickte geradeaus, hinüber zu den Felsen, über denen Nebel zogen.
»Alex Kte Waknwan«, sagte Oiseda vor sich hin. »Er war da. Die große Straße ist er gewandert und konnte doch nicht zu ihrem Ende gelangen, weil es auf der Erde, die er verlassen hatte, noch etwas zu tun gab. Heute war er da, ich konnte zu ihm kommen, und ich werde ihm ein lebendes Kind schenken, das seinen Namen trägt. Seinen Namen. Kte Waknwan. In dem Kind sind er selbst und sein Name wieder neu. Er war im Traum bei mir und ich bei ihm.«
»Ikagiya«, antwortete Wasescha, ohne Oiseda anzusehen, und auch sie schaute nirgend hin als nach den Felsen.
»Hugh Wasescha, ein Mensch kann ein anderer werden, das habe ich erfahren. Kte Waknwan ist zu mir gekommen, Ikagiya aber zu dir. Wer ist Ikagiya?«
»Meine Frau, die ich suche. Sie haben sie von mir losgerissen, und ich weiß nicht,
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