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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Lieder der Ahnen zu lehren, denn nur er kenne sie noch. Der Junge sagte ja, und er nahm seinen Bären mit. Den Bären wollte er nicht verlassen. Was mochte dann geschehen? Was würde die Wahrheit sein?«
    Jerome stand auf.
    »Der Informant war einst ein Indianer gewesen, er wußte noch, wie man mit einem Indianer spricht. Der Junge mußte ihm darum glauben. Aber dann wurde der Bär erschossen.« Jerome sagte es ruhig. »Der Junge lernte neue Lieder, aber seine Mitschüler lernten die alten Lieder nicht. Es kam eine schwere Zeit für den Buben. Denn wenn diese Geschichte in der Zeit unserer Großväter wahr gewesen ist – nun, damals waren uns die alten Lieder und die alten Gebete, die alten Tänze verboten, und wer sie dennoch sang, erhielt weniger zu essen.«
    Im Hintergrund gab Rektor Snider dem Lehrer Mahan ein Zeichen, solche Diskussionen zu vermeiden. Aber er unterbrach ihn nicht direkt.
    »Der Bär wurde nicht erschossen«, sagte Mahan, »der Superintendent verlangte nur, daß er verschwinden müsse, da er gefährlich sei, und der Junge, der Freund des Tieres, trieb es selbst fort. Das kam ihn hart an. Es war noch schwerer für ihn, als die Lehrer ihm verboten, die alten Lieder zu singen, und am schwersten war es, als selbst einige Kinder ihn auslachten. Er wurde ein schlechter Schüler. Er sollte ein Handwerk lernen, aber er verstand seine Lehrmeister kaum. Er sollte junge Pferde hüten, und er trieb sie in weiches Sandgelände, wo er sie leichter zureiten konnte. Doch das hatte ihm niemand aufgetragen. Er war unbrauchbar und unglücklich. Können Sie das wahr finden?«
    Alle Schüler stimmten lebhaft zu.
    »Aber nun kam die Wende. Sein Reittalent wurde entdeckt. Er wurde Rodeoreiter, allerdings nur für einen kleinen schlechten Stall im Süden unseres großen Landes. Er haßte den Besitzer, der ihn ausnutzte. Eines Tages beraubte er ihn seines Geldes und machte sich selbständig. Er zog von Rodeo zu Rodeo… Was denken Sie über ihn?«
    »Er war kein Indianer mehr«, sagte Burt.
    »Ja – wieso? Er hatte schwarze Haare, schwarze Augen und eine braune Haut. Seine Väter und Vorväter waren Utah gewesen.«
    »Indianer sein ist mehr!« rief Julia, fast, ehe sie gefragt war.
    »Wir werden fragen, Julia Bedford, was das ist, indianischer Amerikaner sein, aber lassen Sie uns erst die Geschichte des Utah zu Ende hören, damit wir wissen, ob der weiße Schriftsteller uns ganz verstehen konnte. Der junge Utah hatte die weißen Männer also hassen und verachten gelernt, weil er nur ihren rücksichtslosen kleinen Businessmen begegnete. Weil er zu schwach war, sich gegen sie aufzulehnen, mißhandelte er die Pferde und ließ an ihnen seine Verzweiflung aus. – Das glauben Sie nicht?«
    »Vielleicht«, sagte Jerome. »Wenn er wirklich ein Weißer geworden war.«
    Rektor Snider seufzte nur in unauffälliger Weise. Es schien ihn allmählich zu interessieren, was für Vorstellungen seine Schüler äußerten.
    »Einmal stürzte er«, setzte Mahan fort, »und das Pferd stampfte auf ihn. Er wurde fast ein Krüppel. Eine weiße Frau, die ihn pflegte, verliebte sich in ihn; sie wollte ihn heiraten und ihm ein Heim geben. Er sagte noch nicht ja zu ihr. Er ging noch einmal in die Heimat, aber nur, um nun endgültig Abschied zu nehmen von dem, was Sie Indianersein nennen. Was ist das eigentlich? Wollen Sie es aussprechen?«
    »Noch nicht«, antwortete Burt. »Bitte, berichten Sie erst zu Ende.«
    »Der Utah wußte selbst sehr wohl, warum er noch nicht ganz ein Weißer war. Es gab einen Bären – der lebte noch. Die Jäger sagten es ihm. Er nahm ein Jagdgewehr und zog aus, um den Bären zu töten; denn damit, das wußte er, hätte er sich auch selbst getötet, hätte er den Indianer und seine Ahnen in sich für immer gemordet.« Mahan machte eine kurze Pause. »Er hat das Tier nicht getötet, weil er es nicht über sich brachte. Er ließ den Bären leben – und kehrte auf die Reservation zurück. Denn er wollte studieren, warum die Menschen dort so geworden waren, wie sie waren, und warum der Informant ihn für ein paar Dollar verraten hatte.«
    Mahan legte nochmals eine Schweigepause ein. Die Schüler waren ihm dankbar, daß sie ihr Fühlen und Denken nicht sogleich zu unterbrechen brauchten. Sie schauten ihn an, als wollten sie fragen: »Und du?« Aber das fragten sie nicht, denn hinter ihrem Rücken saßen zwei Fremde, und sie wurden sich dessen wieder bewußt, weil Rektor Snider sich auf seinem Stuhl gerührt hatte.
    »Ich

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