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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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gleichgültig?«
    »Wenn die anderen gestraft wurden, hart und ungerecht. Dann schrie sie laut, während alle außer ihr stumm blieben und über ihre Schreie nur erschraken. Wir wußten von ihr. Ihren Heimatnamen kannte ich noch nicht. Wir nannten sie aber Ikagiya, weil sie sich abquälte und den Lehrern Verdruß machte.«
    »Und sie erfuhr von dir?«
    »Ja.«
    Wasescha zerknüllte seinen Grashalm und warf ihn weg. »Sie wußte von mir so gut wie die andern, denn ich wurde vor der Klasse mißhandelt und von den Lehrern auch in anderen Klassen als ärgerliches Beispiel genannt.«
    Stonehorn lächelte unsichtbar, er dachte an seine eigene Schulzeit, die auf Grund einer falschen Anschuldigung mit dem Gefängnis geendet hatte.
    Wasescha fand nicht weiter. Stonehorn fuhr an seiner Stelle fort.
    »Ihr habt euch dann getroffen, obwohl ihr Mädchen und Jungen des Abends und des Nachts streng getrennt wart?«
    »Ja. Wir haben uns einmal gefunden. Ich neunzehn, sie vierzehn. Ja. Es war eine Nacht im Herbst. Wie heute. Sie wurde meine Frau.«
    Joe Inya-he-yukan wartete.
    »Ich habe sie dann nur noch selten und nur von fern gesehen. Wir sind verraten worden. Ikagiya wurde in ein Hospital gebracht, wochenlang, ja, es waren drei Monate. Sie haben mir mein Kind ermordet, ehe es geboren wurde. Als Ikagiya wiederkam, schrie sie nicht mehr, sie blieb stumm wie die andern. Bleich war sie, und ihre Augen schauten ins Leere. Ich konnte sie nie mehr sprechen.«
    »Sie haben dich in eine andere Schule gebracht?«
    »Nein. Eine noch schlechtere hätten sie auch nicht finden können. Es wurde alles verborgen, und weder Ikagiya noch ich sind von der Schule aus bestraft worden. Sie wurde krank genannt und ich unfähig, mich einem Mädchen überhaupt zu nähern. Nun, ich war damals magerer als eure Hunde, und sie lachten mich einfach aus, als ich mich zu Ikagiya bekennen wollte.«
    »Die härteste Strafe wäre dir lieber gewesen.«
    »Ja.«
    »Sprich weiter.«
    »Ich habe damals meine Kampfesweise geändert. Aus Wymans schlechtestem Schüler…«
    »Weiß er von der Sache?«
    »Selbstverständlich. Wenn er sich selbst lieb hat, wird er aber schweigen. Ich habe also damals meine Art zu kämpfen geändert. Aus Wymans schlechtestem Schüler wurde der beste des Baccalaureats. Ein hartes Stück. Sie haben geglaubt, es sei ihr Erfolg, aber es ist der meine gewesen. Ich habe mir ihre Wissenswaffen angeeignet. Am Tage des Baccalaureats, als ich meine Auszeichnung empfing, habe ich Ikagiya zum letztenmal gesehen.«
    »Gesprochen?«
    »Nein. Nach der Feier mußte ihre Klasse den Raum verlassen. Aber wir haben uns noch einmal angesehen, und ich denke, sie vergißt nicht, daß sie meine Frau ist. Solange sie lebt.«
    »Wie ist der Name, den ihre Eltern ihr gegeben haben?«
    »Magasapa-win, das ›Schwarze-Wildgans-Mädchen‹. Im Register stand sie als Cora Chapela. Ich habe geforscht, aber ich habe sie nicht mehr gefunden. Im Internat hatte sie Schreibverbot, und meine Briefe wurden ihr natürlich nicht ausgehändigt. Sie kamen zurück – ›Annahme verweigert‹. – Die Eltern – ›unbekannt verzogen‹.«
    »Ja, die Chapelas haben die Reservation verlassen. Sie gingen nach New City, um Arbeit zu finden, und wohnten in den Slums. Vielleicht weiß meine Schwester mehr, die dorthin geheiratet hat. Wir werden sie fragen. Ja?«
    »Ja.«
    Joe und Hugh blieben noch in der Mulde sitzen. Vom Haus her hörten sie Töne einer Flöte. Fünf Töne in sich wiederholender Klangfolge, schlicht, Gedanken lösend, das Gefühl ordnend.
    Als die Melodie fortgeschwebt war, erhoben sich die beiden jungen Männer und gingen zurück zu den Häusern. Für Joe und Hugh waren wieder die beiden Bretterbetten in der Blockhütte bereit. Hugh teilte mit Gerald, Joe mit Wakiya und Hanska. Vor dem Einschlafen erfuhr Gerald noch, daß er von Stund an bleiben könne, wenn er wolle. »Überrede deine Mutter, Wasescha«, bat er. »Überrede sie. Ich muß sie da haben. Sie ist mein Medizinmann.«
    »Morgen fahre ich zu ihr.«
     
    Die Nacht wurde intensiv und ungestört durchschlafen, aber für die Schläfer in der Blockhütte war sie nicht lang, denn schon vor Morgengrauen rührte sich Stonehorn, und gleich waren Hugh, Gerald und Hanska hellwach. Nur Wakiya schlummerte weiter, erschöpft vom vergangenen Tag.
    Die vier liefen hinauf zum Brunnen und wuschen sich. Es war kalt, die Haut zog sich zusammen. Im Osten graute jetzt ein erster Schimmer; am Himmel verblaßten Sterne, der

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