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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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dem er nicht weniger unausgesprochen aggressive Gedanken ansah.
    »Three Stars, der Titel gefällt Ihnen nicht. Sie denken sich: Ah! Preisgekrönte Liquidation der altindianischen Kultur. Wenn schon, dann vollziehen wir sie selbst. Habe ich Sie richtig verstanden?«
    »Sie haben mich verstanden.«
    »Ist der Titel also für uns Indianer nicht gut gewählt? Möglich, er weckt Sentimentalität oder Opposition bei uns. Gehen Sie darin mit mir?«
    »Yes«, sagte Julia für die ganze Klasse.
    Die jungen Menschen wurden aufmerksam und erstaunt. Sie waren in ihrer gesamten Schulzeit noch nie auf diese Weise angesprochen worden.
    »Einige von Ihnen würden das Buch seines Titels wegen nicht lesen. Zum Beispiel Burt Three Stars, Julia Bedford, Jack Dougherty und Alice Morton. Aber es ist nicht unbedingt notwendig, mit einem Menschen seiner Kleidung wegen nicht zu sprechen; man kann abwarten, was er zu sagen hat. Unser Gespräch über diese Frage ist dadurch erschwert, daß Sie das Buch nicht kennen. Ich will aber einige Probleme herausgreifen, damit wir dadurch näher zum Ziel kommen. Die Handlung spielt vor fünfzig oder sechzig Jahren. Ein Utah flüchtete Hals über Kopf aus der Reservation, weil er in eine Schlägerei verwickelt worden war und einen anderen seines Stammes, ohne das zu wollen, erschlagen hatte. Er flüchtete mit Frau und Kind in die Wildnis, die es im Bergland noch gegeben hat. Er verbarg sich, weil er fürchtete, daß man ihn hinrichten würde. Er jagte und fischte, er baute ein Zelt, und er erzog seinen Buben nach alter Weise. – Aber Sie möchten mich etwas fragen, Jack. – Ja. Kritisieren Sie nur.«
    »Wenn es so einfach gewesen wäre, würden viele gegangen sein.«
    »Glauben Sie? Verzichten auf Haus, auf Wagen, auf Pferde, auf Schule…, keine Kleidung kaufen können, keine Schuhe kaufen können…«
    »Schreibt er das so?«
    »Er schreibt, wie der Utah sich alles, was er brauchte, mit seiner Frau zusammen erarbeitet hat. Gleich unseren Vorfahren. Und wie er seinen Sohn dabei die alten Lieder und Weisheiten lehrte.«
    Julia meldete sich.
    »Das ist nur für einen einzelnen und wie im Märchen ausgedacht. Selbst wenn es noch die Wildnis gegeben hat und wenn alle hätten gehen wollen, hätten nicht viele dorthin gehen können. Einen einzelnen vergißt die Polizei, ein Volk nicht. Sie wären gejagt worden wie das Wild ohne Schonzeit. Was will uns der Dichter durch seine glückliche Indianerfamilie im Urwald sagen?«
    »Ja. Sie haben erkannt, daß es um einen literarischen Kunstgriff geht. Der Schreiber wollte – nehmen wir einmal an – den freien Indianer oder – « Mahan sagte es mit einem Blick auf Rektor Snider –, »oder wenn Sie wollen, den primitiven Indianer mit dem sich zivilisierenden Indianer der Reservation konfrontieren. Aber – wie soll das vor sich gehen? Was glauben Sie? Die beiden Typen sind jetzt nach dem Willen des Autors getrennt – in verschiedenen Räumen.«
    Das Mädchen Alice in der letzten Reihe hatte etwas zu sagen. »Die von der Reservation streckten die Finger aus, und eines Tages griffen sie die drei im Wald. Auch wenn der rote Mann gegangen ist, der weiße ist immer nachgekommen. Das Weglaufen hatte keinen Zweck.«
    »Doch hat es sich der Dichter nicht so leicht gemacht«, erklärte Mahan. »Er wußte, was Sie eben gesagt haben, und er wollte es nicht leugnen. Es war ihm nicht um die Idylle zu tun – wäre es das gewesen, ich hätte vor Ihnen kein Wort über das Buch verloren.
    Kurz: Der Utah-Vater kam auf der Jagd um. Die Frau starb hilflos an einer Krankheit. Der Junge aber hatte gelernt, in der Wildnis zu leben. Er hatte sogar mit einem Bären Freundschaft geschlossen.«
    Die Schüler lächelten.
    »Das mußte kommen«, flüsterte Julia zu Jerome hinüber. Mahan überhörte es geflissentlich.
    »Es war ein anderer Utah der Reservation«, berichtete er weiter, »der den Knaben aufspürte. Ein Informant. Er wollte sich ein paar Dollar verdienen. Glauben Sie das?«
    Die Schüler schwiegen aus Scham für ihr Volk.
    »Natürlich glauben wir das«, sagte Alice Morton endlich wütend. Sie hatte Snider und Cargill, die hinter ihr saßen, wohl ganz vergessen.
    »Sie glauben es also. Der Informant holte den Knaben auf die Reservation. Wie wird er das zustande gebracht haben?«
    »Ein Mann ist ja stärker«, meinte Jack.
    »Er hat ihn angelogen«, vermutete Alice.
    »Ja, er war schlau und sagte dem Buben, es sei seine heilige Pflicht, zu kommen und die anderen Kinder die

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