Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Situation ist schon zu differenziert, um noch primitiv genannt zu werden. Finden Sie nicht?«
»Die Situation, ja, aber wie denken Sie über den Widerspruch zwischen komplizierter Situation und unkomplizierten Denkweisen?«
»Haben wir die noch?«
»Ich finde, ja. Ich will Ihnen das erläutern. Unkompliziert, das heißt, immer geradewegs auf das nächste Ziel zugehen, ohne den ganzen Komplex zu bedenken. So arbeiten Ihre Landsleute zum Beispiel wie die Pferde, um sich gutes Essen zu verdienen, und wenn sie es haben, hungern sie ebenso folgerichtig, um wieder schlank zu werden. Sie ziehen in die Stadt, weil das Leben dort leichter scheint, und wenn sie die Luft Ihrer Städte genügend in giftiges Gas verwandelt haben, beginnen sie sie zu verlassen. Sie verpesten die Gewässer, und dann versuchen sie, sie zu reinigen. Sie zentralisieren ihre Verwaltung in den großen Städten mit allen Mitteln ihrer Technik, und wenn ihnen das gelungen ist, lösen sie sie durch Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfe wieder auf. Sie bauen in jahrtausendelangen Mühen eine Zivilisation auf, und dann nehmen Ihre jungen Leute Rauschgift, um sie wieder zu vergessen. Sie gehen immer ein Stück in eine Richtung, und dann machen sie plötzlich kehrt.«
»So sehen Sie uns?«
»Darf ich Sie um einen Gegendienst bitten? Sagen Sie mir, wie Sie uns sehen?«
»Was verstehen Sie darunter, wenn Sie ›uns‹ sagen? Wer ist dieses ›wir‹?«
»Der rote Mann.«
»Ich habe gehört, daß Indianer es nicht lieben, die ›Roten‹ genannt zu werden.«
»Schon wahr, solange wir diesen Namen von andern empfingen. Aber nun beginnen wir, ihn uns selbst zu geben, und er gefällt uns.«
Miss Sunday fühlte sich von der Diskussion angezogen und gesellte sich zu den Gesprächspartnern.
»Sind Sie bei den Farben?« fragte sie lächelnd.
»Und wie!« rief Clyde. »Lieben Sie black?«
»Black ist wundervoll, Mister Carr.«
»Bitte, nennen Sie mich Clyde. Den Namen Carr kann ich nicht hören. Und im übrigen, ich bedaure nur, daß ich mich nicht selbst schwarz machen kann. Stellen Sie sich meinen Vater vor, wenn sein Sohn als Schwarzer vor ihm erschiene!«
»Den Vaterkomplex würden Sie doch nicht loswerden, Clyde«, sagte Ron. »Aber kommen Sie bitte alle an den gedeckten Tisch? Meine weiße Frau wartet.«
Die Tischgäste machten sich den Salat als Vorspeise an und waren mit Assoziations- und Kombinationsfragen betreffend Salatart und Soße beschäftigt. Das hinderte Lawrence nicht, den Gedankenbohrer weiter zu betätigen.
»Clyde, du kannst nicht schwarz werden. Hier siehst du die Beschränktheit des ›Black‹-ideals. Es isoliert.«
»Es sammelt aber auch und stärkt, mein lieber Lawrence.«
»Durch eine hohe Geburtenzahl, aber nicht durch Vernunft. Die Vernunft ist das Übergeordnete. Sie ist allen Menschen gemeinsam.«
»Das Blut auch«, sagte Hugh. »Rot ist das Blut des weißen, des schwarzen, gelben und des braunen Mannes. Rot ist das Blut des Adlers.«
»Schwarz ist eindeutig, rot ist zweideutig«, konstatierte Ron.
»Warum vertragen sich eigentlich indianische Amerikaner und schwarze Amerikaner nicht gut?«
»Meinen Sie?« fragte Mahan dagegen. »Miss Sunday und ich arbeiten bestens zusammen – wenigstens bei den Beginnern, also bei den Keimen der Zukunft. Liegt das auf der Linie, Ron?«
Warrior hob die Hände, Zeichen der Kapitulation. »Was soll ich darauf antworten? – Nein – hieße Bürgerzwist. Ja – wäre das Bündnis von Black Panther und Red Power.«
Mrs. Warrior teilte den Braten auf; schließlich hatten alle genügend Appetit, doch Clydes Temperament ließ sich davon nicht zurückhalten.
»Feigling«, rief er Ron zu. »Wie lange soll ich es im Sumpf eurer Kompromisse noch aushalten? Mein primitiver Vater weiß wenigstens, was er will. Er wird euch alle zusammen noch zugrunde richten.«
»Menschen der Zerstörung«, sagte Mrs. Warrior leise. »Er gehört dazu.«
Es trat eine Pause ein, in der der Braten aufgegessen wurde und Obst abschließend der Gesundheit diente.
»Miss Sunday«, nahm Ron dann das Gesprächsspiel wieder auf. »Schwarz ist wunderbar, sind Sie nur gezwungenermaßen bei den braunen Kindern?«
»Ich gestehe Ihnen, Mister Warrior, daß ich vor Jahren hierherkam, weil mir der Job angeboten wurde. Aber nun habe ich die Kinder lieb. Wirklich.«
»Also was ist ›Schwarz‹ für Sie? Darf ich das fragen? Eine wundervolle Farbe, ein Bekenntnis, eine Nation?«
»Offen gestanden, Mister Warrior, eine
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