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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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möchte Sie aber fragen«, nahm Mahan auf, »ob Sie das Buch für besser halten als seinen Titel – und warum.«
    »Er hat doch mehr von uns verstanden als nur die Liquidation«, antwortete Burt. »Er hat etwas verstanden, was den Indianer ausmacht. Was noch da ist. Es interessiert mich, daß ein weißer Mann das begriffen hat. Wenn das Buch nicht zu dick ist, würde ich es lesen. Ja. Der Autor muß ein merkwürdiger Mensch sein. Er hat ja nicht einmal geschrieben, daß es richtig sei, wenn ein Indianer seine Reservation endlich verläßt und ein Weißer wird. Er hat gewußt, daß einer wiederkommt.«
    »Und was denken Sie nun? Würden Sie Bücher über weiße Amerikaner lesen wollen, um diese besser zu verstehen?« Verlegenheit verbreitete sich. Was auf einmal für eine dumme Frage, sagten die Mienen. Wir müssen sie lesen, ob wir nun wollen oder nicht.
    »Wenn Sie Bücher aus dem Leben der weißen Amerikaner heute lesen wollen, werden wir offen darüber sprechen und miteinander arbeiten können. Ich denke, einige der weißen Einwanderer haben gelernt, uns zu verstehen, weil sie sich selbst zu durchschauen beginnen. Könnten wir verlangen, was wir nicht geben? Wenn wir verstanden werden wollen, so liegt es an uns, auch in die andern einzudringen. Haben Sie es schon einmal mit Ernst versucht? Auf gleichem Fuß?«
    »Warum sagen Sie ›auf gleichem Fuß‹?« fragte Julia und begann damit eine Falle aufzubauen. »Unsere Eltern waren Wilde, und wir müssen erzogen werden. Wie können wir mit unseren Lehrern auf gleichem Fuße stehen?«
    »Wie Sie zum Beispiel mit mir auf gleichem Fuß stehen können? Indem Sie aufrichtig sind und sich selbst erziehen. Aber es gibt ein anderes schwieriges Problem. Müssen wir dazu Romane lesen? Sind sie nicht alle erfunden und insofern eine Lüge? Und möglicherweise haben sie ein Ende, das kein Schluß ist – wie das Buch, über das wir sprachen. Ein Zeitungsartikel ist kürzer, macht weniger Mühe beim Lesen und weiß immer das Resultat. Oder?«
    »Das ist schon wahr«, meinte Alice, »aber es kann auch ein Fehler sein. Die Geschichte des Utah ist nicht für einen einzigen Tag geschrieben, und unsere alten Lieder haben nicht gelogen. Weise Wahrheit und Tageswahrheit sind zweierlei. Die Dichter sollten die Weisheit sagen – wenn sie sie finden.«
    Burt wurde ungeduldig.
    »Mister Mahan, was Sie jetzt gesagt und gefragt haben, war nur eine Lehrerlist. Wir glauben, daß Sie mehr Zeitungen lesen als wir, und Bücher lesen Sie natürlich. Wahrheit ist Wahrheit, und die vom Tag und die von der Ewigkeit können wir nicht trennen, wie man ein Blatt Papier auseinanderreißt. Alle Wahrheiten gehören zusammen, sie erscheinen uns nur – also in verschiedener Form.«
    »Sehr gut, Burt. Wir können aber keine dieser Formen missen, wenn wir selbst ein ganzer Mensch sein wollen. Ich denke, wir werden einigen großen amerikanischen Dichtern begegnen, die ein wesentliches Stück Wahrheit gefunden haben. Sie als junge Menschen müssen das selbst prüfen; darum wollen wir miteinander arbeiten. Es war nie Indianerart, auf halbem Wege stehenzubleiben. Was halten Sie für Indianerart? Wir haben die Frage noch nicht beantwortet.«
    Alice war bereit zu sprechen.
    »Der Natur ein Bruder sein – nach dem Sinn unseres Lebens fragen, auch danach, wieviel davon – und vielleicht wie viel mehr als wir selbst – ein Dichter verstanden hat – ja – und einander helfen, miteinander arbeiten, nicht gegeneinander, nicht selbstsüchtiges Volk sein. Ich habe gesprochen.«
    Die Stunde war abgelaufen. Die Klingel schrillte. Rektor Snider und Cargill kamen zu Mahan herbei, während die Schüler den Klassenraum für die kleine Erholungspause verließen. »Kommen Sie beide bitte noch zu mir!« sagte Snider und räusperte eine geringe Heiserkeit weg.
    Die beiden Lehrer begleiteten den Rektor und wurden aufgefordert, vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.
    »Sie sind ziemlich gefährliche Umwege gegangen, Mahan«, begann Snider, während er sich von Mahan das besprochene Buch geben ließ. »Ich würde Ihnen empfehlen, künftig Ihr Ziel mit etwas weniger Sophistik anzustreben.«
    »Hat Ihnen das Ergebnis mißfallen, Mister Snider?«
    »Sie sind zu dem Ziel gekommen, das Sie sich selbst gesetzt hatten. Es fehlt Ihnen nicht an pädagogischen Fähigkeiten, es kommt nur darauf an, wie Sie sie verwenden, und in dieser Richtung muß ich Sie allerdings kritisieren. Einige oppositionell gesinnte Schüler und auch Jerome

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