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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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– ja, das ist interessant. Aber es ermuntert nur noch mehr, sich den Beginnern zu widmen, damit es nicht ein zweites Mal geschieht.«
    »Soviel Enttäuschung bei den Senioren erlebt?«
    »Soviel nicht genutzte Lernleidenschaft entdeckt.«
    »Goldgräber verstecken ihre Schätze am besten, Mahan.«
    »Ron, Sie kennen Ihre Bibel ebenso schlecht wie Mister Wyman. Der Mann, der das Pfund versteckte und es nicht mehrte, wurde verdammt. Es genügte nicht einmal, daß er es unbeschädigt zurückgeben wollte. Warum wohl nicht?«
    »Nun verraten Sie mir nur noch, Hugh, wo Sie so bibelfest geworden sind?«
    »Aber wo denn anders, Ron, als bei unserem Gefängnispfarrer. Wer im Baccalaureat ausgezeichnet werden will, darf in keinem Fach versagen.«
    »Gefängnis…?«
    »Entschuldigen Sie, so haben wir unser Schulinternat genannt.« In der auf das Mittagessen folgenden großen Pause hatte Mahan mit Lehrer Ball zusammen die Aufsicht auf dem Vorplatz der Schule. Die beiden, die die Runde in entgegengesetzter Richtung abschritten, kreuzten ihre Wege jeweils am Schultor und an dem Staubecken, dessen Spiegel seit dem letzten Regen schon wieder abgesunken war. Mahan konnte das regungslose, müde Wasser nicht mehr sehen, ohne an die beiden jungen Menschen zu denken, die hier beieinander gestanden hatten. Tishunka-wasit-win war tot. Was gab es oder wen gab es, der Wakiya-knaskiya noch im Leben festhalten konnte?
    Lehrer Ball sprach Hugh kurz an und riß ihn aus seinen Gedanken.
    »Mahan, was haben Sie wieder angerichtet? Ich habe den Auftrag, Sie über die Ziele unserer Erziehung aufzuklären! Sprechen wir uns heute abend?«
    »Sehen Sie sich das Wasser an, Mister Ball. Es stinkt, weil es nicht fließen darf. Man hat es eingefangen und aufgestaut.«
    »Ihre indianische Bildersprache, Mahan?«
    »Gestaute Psyche kann tödlich wirken, Mister Ball. Vergessen Sie Patricia nicht. Ich will mich nicht mitschuldig machen.«
    »Also heute abend?«
    »Morgen, Mister Ball. Heute bin ich bei Mister Warrior zu Gast.«
    »O. k.«
    Nachdem Hugh die Nachmittagsstunden mit seiner Beginnergruppe verbracht und anschließend die Sportaufsicht bei leichtathletischen Übungen geführt hatte, machte er sich zu Hause für die Dinner-Einladung bei Ron fertig. Für das Milieu, das ihn erwartete, schienen ihm Hemd, Lederweste und indianisches Stirnband geeignet.
    Ron Warrior bewohnte mit seiner blonden Frau und drei Kindern eines der Siedlungshäuser, die den Lehrern und Erziehern als Dienstwohnung zur Verfügung standen. Die Gäste sammelten sich in dem großen Raum, der nur durch eine Glasschiebetür gegen den stürmischen Herbstabend abgeschirmt war. Die Kinder und ihre Spielsachen nahmen den mattenbelegten Boden ein; die Eintretenden fanden sich dazwischen hindurch, um die Hausfrau und Ron zu begrüßen.
    Clyde stellte dabei seinen Freund vor, der langgewachsen wie er selbst, doch nach Kleidung und Haltung ein andersartiger Typ war. Im grauen Anzug, mit unauffälliger Brille, mit kurzgeschnittenem Haar wirkte er wie ein Protest gegen Protestler wie Clyde Carr.
    Der Ton, mit dem Clyde ihn »Mein langjähriger Freund, Philister Lawrence« vorstellte, verriet, welche Freude er an der ständig zündenden Reibungsfläche empfand.
    Ron brachte Gin mit Tonic als einleitenden Drink, dazu Salzgebäck. Man setzte sich oder blieb stehen, je nach Gefallen.
    »Lawrence«, sagte Clyde und schob seinen Freund zu Hugh Mahan, »hier siehst du den Mann, der uns ein primitives Volk genannt hat. Was sagst du dazu?«
    »Wie meinen Sie das?« forschte Lawrence ernsthaft.
    »Heute meine ich es so ernst, wie Sie fragen«, erwiderte Mahan ohne Verlegenheit. »Ich will den Ruhm, den Ursprüngen nahe zu sein, nicht für mein Volk allein pachten.«
    »Sie wollen sagen, unterentwickelt?«
    »So unentwickelt wie ein Baumsamen, der, nicht mehr als eine Fingerspitze groß, bereits alles enthält: Wurzel, Stamm, Zweige, Blätter, Blüten, Früchte, Generationen von neuen Bäumen – ein Samen, mit dem ein Kind spielt und der, aus sich herauswachsend, Menschen, Tiere, Pflanzen überragt und Jahrhunderte überdauert.«
    »Sie bewundern die Möglichkeit?«
    »Wenn ich das nicht immer und auch in den dunkelsten Jahren getan hätte, würde ich kaum hier vor Ihnen stehen.«
    »Aber Sie geben zu, daß die Möglichkeit ihre Größe nur aus der kommenden Wirklichkeit zieht?«
    »Welche Wirklichkeit sehen Sie kommen, Mister Lawrence?«
    »Ich bin kein Prophet, das ist mein Freund Clyde. Die

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