WELTEN-NEBEL
vorzeitigen Rückkehr der Reisegesellschaft hatten die Wut auf ihren Sohn wachsen lassen. Anfangs war sie auch erzürnt über seine Begleiter gewesen, doch dann war ihr klar geworden, dass diese wahrscheinlich keine Schuld traf. Niemand hatte mit einem solch unverantwortlichen Verhalten ihres Sohnes rechnen können. So konzentrierte sich ihr ganzer Zorn auf Btol. Er war verantwortlich dafür, dass sie zwei Tage in Angst um ihn hatte verbringen müssen. Nur er hatte seinen Beinahe-Tod zu verantworten. Sie hatte ihrem Sohn mehr Vernunft zugetraut, doch er hatte sie bitter enttäuscht. Während sie auf seine Rückkehr gewartet hatte, hatte sie sich unzählige Male gefragt, was sie nur falsch gemacht hatte. Waren ihre Warnungen vor den Gefahren der Wüste nicht eindringlich genug gewesen?
Ihr Ärger über Btols Unvernunft hatte sich Tag für Tag gesteigert, für andere Gefühle war kein Raum gewesen. Doch als sie ihn dann heute vor sich gesehen hatte, hatte sie sich nur schwer beherrschen können, um ihm nicht einfach nur erleichtert um den Hals zu fallen und jedes böse Wort zu vergessen. Erst als sie sich vor Augen führte, dass er hätte tot sein können, gelang ihr eine Ansprache, auf die selbst ihr Sohn keine Antwort zu geben wagte. Als er es dann doch tat, klang seine Entschuldigung so aufrichtig, dass Madia die Worte fehlten. Daher hatte sie sich zunächst zurückziehen müssen.
Nun saß sie an ihrem Lieblingsplatz im Palastgarten und dachte nach. Es bereitete ihr Sorgen, was Btol über den Sog gesagt hatte, der ihn ins Innere der der Zentralwüste gezogen hatte. Sie glaubte nicht, dass dies eine Ausrede gewesen war. Das konnte zwei Dinge bedeuten: Entweder hatte eine Kraft von außen ihn in die Falle locken wollen, oder der Sog war aus Btols Innerem entstanden, möglicherweise als Reaktion auf sein so behütetes Dasein.
Sicher war es schwierig, die Ursache zu ergründen. Weder gab es Anhaltspunkte auf eine Bedrohung von außen, noch konnte sie mit Bestimmtheit sagen, wozu der Geist ihres Sohnes fähig war. Wenn sie die Ursache nicht finden konnte, wie sollte sie dann verhindern, dass sich etwas Ähnliches erneut ereignete?
Sie konnte die Angst um ihren Sohn nicht länger verdrängen. Ganz gleich, wie ihr Sohn in die Situation gekommen war, ob verschuldet oder unverschuldet, jetzt war es an ihr, ihn zu beschützen. Wenn eine solche unheilvolle Macht von der Zentralwüste ausging, war es wohl das Beste, ihren Sohn von diesem Ort fernzuhalten. Je größer der Abstand, desto besser. Vielleicht sollte sie ihm eine Reise nach Cytria gestatten. Allerdings würde er frühestens in drei oder vier Monden aufbrechen können, erst im Frühjahr würden wieder helwarische Schiffe in Richtung Cytria auslaufen. Bis dahin würde sie besonders auf ihn achten müssen. Vielleicht gelang es ihr ja in der Zwischenzeit, die mysteriösen Umstände seines Ausfluges in die Wüste zu klären. Auch konnte die Aussicht auf ein neues Abenteuer vielleicht sein Streben in Richtung der Wüste unterbinden. Sie musste alles tun, um ihr Kind zu beschützen.
Jahr 3636 Mond 11 Tag 4
Heet, Helwa
Als er von der zwei Monde langen Reise durch sein Königreich zurückkehrte, erwartete seine Frau Madia ihn schon in der Eingangshalle des Palastes. Auch er hatte sie vermisst, wie immer, wenn sie auch nur kurze Zeit voneinander getrennt waren, doch ihr Gesicht zeigte keine Wiedersehensfreude. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass etwas nicht stimmte. Sie war blass und wirkte müde. Ihr Blick suchte den seinen. Sofort entließ er alle umstehenden Diener und Angestellten, lief auf sie zu und schloss sie in die Arme. Noch bevor sie etwas sagen konnte, redete er beruhigend auf sie ein: „Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Ich bin ja jetzt da. Gemeinsam schaffen wir das.“
Er spürte, wie sie sich in seiner Umarmung entspannte. Nach einer Weile löste sie sich von ihm. Während sie gemeinsam durch die Gänge des Palastes schritten, berichtete Madia ihm von den Geschehnissen der letzten Tage. Was er hörte, konnte er zunächst nicht glauben. Ungläubigkeit wich Erleichterung über den guten Ausgang. Dennoch teilte er die Sorgen seiner Frau über die seltsame Macht, die Besitz von ihrem Sohn ergriffen hatte.
„ Meinst du, die Bedrohung besteht noch immer?“, fragte er sie.
„ Ich weiß es nicht. Auch weiß ich keinen Weg, dies herauszufinden, ohne Btol erneut in Gefahr zu bringen. Offensichtlich vernimmt nur er den Ruf in die Wüste. Ich habe
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